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News / Shibuya-Momente – oder vom Umgang mit dem, was im Weg steht
Mirjam Berle
14.12.2025   Glosse
Shibuya-Momente – oder vom Umgang mit dem, was im Weg steht
Eine Kreuzung in Tokio, tausende Menschen – und eine überraschende Lektion im Umgang mit Hindernissen.
Neulich stand ich auf einem der wohl berühmtesten Zebrastreifen der Welt: Shibuya Crossing in Tokyo. Wer schon mal da war, weiß: Es gehen während jeder Grünphase bis zu 3.000 Menschen in alle Richtungen über die Straße. Viele können es sich nicht verkneifen, mitten auf der Kreuzung für ein Foto stehenzubleiben. Natürlich bin ich auch eine von ihnen.
 
Aber als ich da wortwörtlich als lebendes Hindernis im Weg stand, passierte: nichts. Die Menschen strömten einfach drumherum. Niemand rempelte mich an. Niemand fluchte. Sie sahen mich, justieren ihre Route minimal, gingen weiter.
 
Auf Shibuya Crossing funktioniert der Umgang mit dem, was vermeintlich stört, so viel besser als in vielen anderen Situationen. Wie kann das sein?
 
Vielleicht, weil auf dieser Kreuzung alle damit rechnen, dass auf einmal jemand im Weg steht. Aufmerksamkeit ist hier, wo das Unberechenbare normal ist, keine Höflichkeit, sie ist eine Strategie, um in Bewegung zu bleiben.
 
Aber gerade dort, wo wir Berechenbares vermuten – im Vertrauten, im Alltag –, gehen wir davon aus, dass uns nichts im Weg steht. Manchmal tun wir sogar so, als gäbe es Hindernisse gar nicht. 
Je vertrauter eine Situation ist, desto weniger rechnen wir mit Hindernissen – und genau deshalb stolpern wir über sie. Wer dagegen aufmerksam bleibt, Störungen ausspricht und sie als Teil des Ganzen akzeptiert, kommt und bleibt leichter in Bewegung.
 
In Shibuya habe ich den Lauffluss von einigen Menschen gestört. Und es war vollkommen okay. Weil alle gesehen haben: Ah, da steht eine. Also gehen wir drumherum. Wir sehen sie als Teil des Ganzen und nicht als Hindernis.
 
Vielleicht brauchen wir auch im Alltäglichen manchmal mehr Shibuya-Logik: Sieh hin. Sag, wo du stehst. Und wenn du gerade mitten im Weg bist, steh dazu. Buchstäblich.
 
Das nächste Mal, wenn wir einem Hindernis begegnen, sehen wir es doch als Teil des Ganzen an. Dann wird es viel leichter, drumherum zu gehen, anstatt darüber zu stolpern.
 
Auf Shibuya Crossing läuft es so – und genau deshalb läuft es reibungslos.
 
Kontakt zur Autorin: kontakt@mirjam-berle.de
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