Digitalisierung der Kommunikationsprofession im Rückwärtsgang – der „Red Queen Effect“
Wie digital sind Kommunikationsabteilungen und PR-Agenturen? Das vermisst der CommTech Index auf Basis einer Befragung von Kommunikationsexpertinnen und -experten in Deutschland, Österreich und der Schweiz.
Der aktuell erhobene Index liegt bei 38 von 100 Punkten und damit deutlich unter dem Vorjahreswert von 45. Dieser Rückgang bedeutet jedoch keinen realen Rückschritt, sondern spiegelt vielmehr den „Red-Queen-Effekt“ wider: Organisationen müssen immer schneller laufen, um im technologischen Wandel überhaupt auf der Stelle zu bleiben.
Während sich Werkzeuge, KI-Funktionen und Systemlandschaften in rasantem Tempo weiterentwickeln, kommt die Branche mit ihren eigenen Adaptions- und Lernprozessen nicht mehr hinterher. Was gestern als Fortschritt galt, erscheint heute unzureichend. Die Digitalisierung wird damit realistischer eingeschätzt – als langfristiger Transformationsprozess, der stetige Weiterentwicklung erfordert und nicht als kurzfristiger Erfolg messbar ist.
Der CommTech Index 2025/26 zeichnet ein ambivalentes Bild: Der Digitalisierungsgrad der Kommunikationsabteilungen und PR-Agenturen in Deutschland, Österreich und der Schweiz liegt mit 38 von 100 Punkten unter dem Vorjahreswert von 45 Punkten. Doch hinter dem Rückgang steckt kein Rückschritt, sondern eine neue Nüchternheit im Umgang mit Digitalisierung und KI. Viele Kommunikationsprofis schätzen ihre eigene digitale Reife realistischer ein als in der ersten Welle der KI-Euphorie.
„Der Index zeigt, dass die Branche aus der Phase des blinden Technologieglaubens herausgewachsen ist“, sagt Thomas Mickeleit, Leiter der AG CommTech. „Kommunikationsverantwortliche erkennen zunehmend, dass Digitalisierung kein Sprint ist, sondern ein langfristiger Transformationsprozess. Die Herausforderung besteht nicht darin, Tools einzuführen, sondern sie strategisch zu orchestrieren – über Organisation, Daten und Kultur hinweg.“
Große profitieren – Kleine geraten ins HintertreffenBesonders deutlich zeigt sich der Graben zwischen großen und kleinen Organisationen. Große Kommunikationseinheiten – ob in Unternehmen oder Agenturen – erreichen im Durchschnitt über 40 Punkte, kleine Teams dagegen nur 35 Punkte. Große Agenturen liegen mit 46 Punkten erstmals vor den meisten Unternehmensabteilungen.
Kleine Organisationen kämpfen dagegen mit begrenzten Ressourcen, fehlendem Fachwissen und mangelnden Strukturen. Für sie wird KI, die eigentlich als „Demokratisierer“ gilt, paradoxerweise zum zusätzlichen Wettbewerbsnachteil: Während große Player eigene KI-Modelle trainieren und Governance-Strukturen etablieren, bleiben viele kleine Teams in der Experimentierphase.
Sabine Clausecker, Präsidentin der DPRG, sieht darin eine entscheidende Weichenstellung auch für die Agenturlandschaft: „Die großen Kommunikationsagenturen haben erkannt, dass generative KI ihr Geschäftsmodell grundlegend verändert. Sie investieren massiv in Technologie und Know-how. Kleine Agenturen laufen Gefahr, abgehängt zu werden, wenn sie nicht gezielt in Qualifizierung und Datenkompetenz investieren. KI ist kein Nice-to-have mehr, sondern Wettbewerbsfaktor Nummer eins. Für uns als Berufsverband sind die Ergebnisse des CommTech Index Report ein wichtiger Hinweis darauf, wo wir mit unseren Angeboten noch stärker ansetzen werden“.
KI-Nutzung: Zwischen Experiment und SystemintelligenzDie Ergebnisse verdeutlichen: KI ist in der Kommunikationsbranche angekommen, aber noch nicht integriert. 88 Prozent der Befragten experimentieren mit KI-Tools, nur 6 Prozent haben ihre Organisation strukturell angepasst. 69 Prozent sehen im KI-Einsatz einen hohen Nutzen – der Anteil derer, die einen „sehr großen Nutzen“ sehen, sinkt jedoch.
Vor allem große Agenturen haben KI bereits fest in ihre Prozesse eingebunden (81 Prozent), während es bei Kommunikationsabteilungen erst 51 Prozent sind. In regulierten Branchen wie Finanzdienstleistungen und öffentlichem Sektor bleibt der Einsatz besonders gering.
Die Entwicklung führt dazu, dass die Branche sich in einer Übergangsphase befindet – zwischen Spielwiese und Systemintelligenz. Tools sind vorhanden, doch es fehlt an Strategie, Integration und Governance.
Organisation und Wirkungsmessung: Fortschritt mit angezogener Handbremse
Organisatorisch ist die Kommunikation heute stärker eingebunden als je zuvor: 75 Prozent der Kommunikationsabteilungen berichten direkt an den CEO. Gleichzeitig bleiben zentrale Funktionen unterentwickelt – 39 Prozent haben keine Verantwortlichen für Data Analytics.
Auch bei der Wirkungsmessung bleibt es meist bei klassischen Output-Kennzahlen wie Reichweite oder Clippings. Nur wenige Teams verfügen über integrierte Dashboards, die verschiedene Datenströme verknüpfen. Der Report spricht von einem „Intentions- Implementations-Gap“: hohe Ambitionen, aber geringe Umsetzungskraft.
Menschen und Kultur: Mindset schlägt ToolwissenDie digitale Reife hängt entscheidend von Haltung und Lernkultur ab. Nur 51 Prozent der Kommunikationsprofis halten ihre technologische Kompetenz für gut – ein Rückgang gegenüber 2023. Besonders mittlere und große Teams kämpfen mit Komplexität und Change-Fatigue, während kleine Teams ihre Agilität ausspielen.
Die gefragtesten Kompetenzen 2025 sind Neugier (73 %), Prompting (60 %), lebenslanges Lernen (55 %) und Change-Kompetenz (52 %). Die Autoren fassen zusammen: „Die besten Teams sind nicht die mit dem meisten Toolwissen, sondern die mit der größten Lern- und Veränderungsbereitschaft.“
Ländervergleiche: Schweiz vorn, Österreich mit NachholbedarfEin Blick auf die DACH-Region zeigt deutliche Unterschiede. In der Schweiz sind Datenkompetenz und CRM-Systeme stärker verankert; nur 28 Prozent der Befragten geben an, niemand sei für Data Analytics verantwortlich – in Österreich sind es 59 Prozent. Auch die Nutzung professioneller Systeme ist dort am höchsten: 58 Prozent der Schweizer Teams nutzen CRM-Systeme, gegenüber 43 Prozent in Deutschland.
Andreas Jäggi, Geschäftsführer der Schweizer CommTech-Initiative ComImpact, kommentiert: „In der Schweiz sehen wir eine größere Nähe zwischen Kommunikation, IT und Management. Data Analytics und KI werden zunehmend integriert, doch auch hier ist der Sprung von punktuellen Projekten zu strategischer Steuerung noch nicht geschafft. Der Wille ist da, aber die Umsetzung braucht mehr interdisziplinäre Zusammenarbeit.“
In Österreich ist die Lernbereitschaft gestiegen, aber die strukturelle Transformation bleibt aus. Ingrid Gogl, Präsidentin des PRVA, sieht darin ein Warnsignal: „Wir beobachten in Österreich eine hohe Offenheit für Weiterbildung und KI- Experimente, aber es fehlt oft an nachhaltiger Verankerung in Organisation und Prozessen. Wenn Digitalisierung dauerhaft Wirkung entfalten soll, müssen Governance, Change und Weiterbildung zusammengedacht werden.“
Fazit: Die Zukunft der Kommunikation liegt in strategischer IntelligenzDer CommTech Index 2025 zeigt eine Branche im Wandel – zwischen Aufbruch und Ernüchterung. Digitalisierung, KI und Datenkompetenz sind längst im Alltag angekommen, doch der strategische Durchbruch steht noch aus. „Die Kommunikationsbranche steht an einem Wendepunkt. CommTech ist keine Frage einzelner Tools, sondern eine Frage des Mindsets. Wer Technologie, Daten und Menschen konsequent integriert, wird Kommunikation künftig prägen. Wer wartet, verliert den Anschluss,“ fasst Mickeleit zusammen.
Über den CommTech IndexDer CommTech Index 2025/26 wird von der Arbeitsgemeinschaft CommTech, der DPRG, dem PRVA in Österreich sowie der Digitalisierungsinitiative ComImpact in der Schweiz erhoben. Er misst den Digitalisierungs- und Professionalisierungsgrad der Kommunikationsarbeit in Deutschland, Österreich und der Schweiz in den Dimensionen Technologie, Organisation & Prozesse, Strategie & Wirkungsmessung, Menschen & Kultur sowie Wahrnehmung von CommTech. An der diesjährigen Online-Befragung, die zwischen Juni und August durchgeführt wurde, nahmen 507 Kommunikationsexpertinnen und -experten teil.
Die Erstellung der Studie wurde unterstützt durch Convento, E.ON Deutschland, IMWF,
Staffbase und die Swiss Re.
Der vollständige Report sowie die zugrundeliegenden Befragungsdaten können unter
https://agcommtech.de/commtech-index-report/ kostenlos runtergeladen werden