„Wer sich zuerst bewegt, hat verloren." So lautet eine ungeschriebene Regel in Verhandlungen, Gehaltsrunden oder beim ersten Date. Doch stimmt das wirklich? Vielleicht hat, wer sich zuerst bewegt, am Ende den Vorsprung.
Heutzutage, wo wir von Change und Transformation geradezu überschwemmt werden, ist Bewegung zum Dauerzustand geworden. „Bewege dich!" ruft der Fitness-Tracker. „Bewege etwas!" mahnt die Führungskraft. „Bewege andere!" fordert das Coaching-Seminar. Wir sollen uns bewegen, andere bewegen, uns bewegen lassen – manchmal scheint es, als sei Stillstand der größte Feind.
Doch während wir uns selbst und andere ständig in Bewegung halten, stellt sich die Frage: Wohin eigentlich? Laufen wir zielgerichtet auf etwas zu oder einfach nur vor etwas davon? Die Bewegung weg von etwas ist oft getrieben von Angst – die Bewegung hin zu etwas hingegen von Vision. Der Unterschied mag subtil sein, die Wirkung ist es nicht.
Eine Kundin erzählte mir neulich: „Ich war so beschäftigt mit all den Workshops zur digitalen Transformation, dass ich keine Zeit mehr hatte, irgendetwas tatsächlich zu transformieren." Wenn Bewegung zum Selbstzweck wird, landen wir im gefährlichen Territorium des Aktionismus – viel Lärm, wenig Wirkung.
Und dann ist da noch die Frage nach dem richtigen Tempo. Die einen schwören auf schnelle, radikale Bewegung – die anderen auf behutsame, evolutionäre Schritte. „Move fast and break things" versus „Langsam und bedächtig ans Ziel". Beide Ansätze haben ihre Berechtigung – die Entscheidung, welcher zählt, ist nicht einfach und sollte möglichst in der eigenen Hand liegen.
Spannend wird es, wenn äußere und innere Bewegung auseinanderdriften. Da sind diejenigen, die äußerlich Veränderung predigen, während sie innerlich an alten Mustern festhalten. Oder andere, die innerlich längst bereit sind für den nächsten Schritt, sich aber in starren Strukturen nicht bewegen können oder dürfen.
Und was ist mit den Strömungen der Kultur, den Wellen des Zeitgeists, die uns mal hierhin, mal dorthin tragen? Wer bestimmt eigentlich, wohin die Reise geht? Sind wir Schwimmer in diesen Strömungen oder können, wollen wir diese lenken?
Das Bindeglied zwischen individueller und kollektiver Bewegung? Ohne Kommunikation bleibt selbst die größte Bewegung im Verborgenen und ohne Bewegung bleibt Kommunikation nur leeres Gerede.
Vielleicht liegt die Kunst darin, innere und äußere Bewegung, schnelles und langsames Tempo, Zielorientierung und Prozessfreude in Balance zu bringen. Sich zu bewegen, ohne getrieben zu sein. Andere zu bewegen, ohne zu manipulieren. Sich bewegen zu lassen, ohne die eigene Richtung zu verlieren.
Und wenn das alles zu anstrengend wird? Dann dürfen wir uns auch mal nicht bewegen. Denn manchmal ist Innehalten die kraftvollste Bewegung von allen.
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