Das Ergebnis der Europawahl schockierte viele, besonders das Wahlverhalten junger Menschen. Schnell wird auf TikTok gezeigt. Ist das richtig so?
16 Prozent der 16- bis 24-Jährigen wählten die AfD. Ein Plus von 11 Prozentpunkten. Nachdem die Politisierung einer Generation jahrelang vor allem im Kontext einer progressiven Klimabewegung beleuchtet wurde, verwundert so manche nun das Wahlverhalten junger Menschen. Viele haben bei Rechtspopulisten ihr Kreuz gemacht.
In wohl keinem Wahlkampf in Deutschland war TikTok ein so großes Thema wie jetzt. In der Nachanalyse der Ergebnisse bemerkte ich, wie auffällig oft über Plattform berichtet wurde. Aber klar: Maximilian Krah und andere prominente Vertreter*innen seiner Partei nutzen TikTok geschickt, um ihre Botschaften zu verbreiten und ein junges Publikum anzusprechen. Die Videos klicken gut, viele User*innen liken und kommentieren – was der Algorithmus wiederum belohnt. Die Inhalte sind zugespitzt und kontrovers. Das zieht.
Doch können wir jetzt davon ausgehen, dass TikTok und der Algorithmus daran Schuld haben, dass junge Menschen eine rechtspopulistische Partei wählen? Die Plattform und ihre Inhalte können kaum der alleinige Entscheidungsfaktor sein. Mit der Argumentation spricht man der jungen Generation die Mündigkeit ab, fundierte Entscheidungen zu treffen. Soziale Medien können zwar eine Diskussion über Themen anregen, doch letztlich ist der Wahlakt selbst das Ergebnis eines langwierigen Entscheidungsprozesses, der weit über das Scrollen durch TikTok-Videos hinausgeht. Die Ergebnisse der Europawahl spiegeln komplexe politische und gesellschaftliche Dynamiken und die subjektive Lebensrealitäten vieler junger Menschen wider. Wenn wir Kurzformvideos die Schuld geben, machen wir es uns zu einfach.
Die AfD hat frühzeitig erkannt, wie sie die Aufmerksamkeit durch provokante Inhalte und polarisierende Positionen auf sich ziehen kann. Diese Strategie hat sie nicht nur auf TikTok, sondern auch in anderen Medienformaten erfolgreich angewendet. Dabei spielt ihr naturgemäß eines in die Karten: kontroverse Inhalte klicken gut und treiben Auflage und Einschaltquote nach oben. Während demokratische Parteien richtigerweise das Für und Wider ihrer Politik abwägen und in komplexen Entscheidungsprozessen um die beste Idee ringen, haben Populist*innen mit ihren Ideen und Forderungen vermeintlich leichteres Spiel.
Seit #reclaimTikTok geht ein neuer Drive durch die deutsche Parteienlandschaft, der die politische Kommunikation endlich auf TikTok ausweitet. Videoformate werden ausprobiert, Aktentaschen und Kartoffelrankings zeugen von Meme-Tauglichkeit. Trotzdem werden demokratische Parteien es schwer haben gegen eine Fake-News-Maschinerie und populistischen Content. Sie werden nicht die gleichen Kontroversen erzeugen können. Stattdessen müssen sie es schaffen, umfassende interessante Inhalte zu entwickeln, die die komplexen Herausforderungen der Gesellschaft adressieren. Ihre Politik muss im Parlament und im Feed überzeugen.
TikTok ist ein neuer Ort für politische Debatten, aber er allein erklärt nicht das Gesamtergebnis einer Wahl. Politische Bildung ist dennoch gerade auf Plattformen wichtig, auf denen sich junge Menschen aufhalten. Wir müssen die Komplexität der Wahlentscheidung verstehen und uns den Realitäten der jungen Generation annehmen. Und dann in der Politik und in der Kommunikation richtig handeln.
Autor: Tim Klute ist Junior Associate im Berliner Büro von 365 Sherpas Corporate Affairs & Policy Advice. Vor seinem Einstieg bei 365 Sherpas sammelte er Erfahrungen im Strategiebereich in einer Kommunikationsagentur in Berlin und in der strategischen Kommunikation bei einer Stiftung in Brüssel im Bereich der EU-Klimapolitik.
Wichtiger Hinweis der DPRG: Der „Kommentar der Woche“ ist eine persönliche Meinungsäußerung der Autorinnen und Autoren, und stellt nicht die Meinung der DPRG dar. Bei Fragen, Anregungen und Wünschen zum Kommentar wenden Sie sich bitte direkt an den Autor unter
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