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Frank Behrendt
27.05.2024   Glosse
Eins noch…
Wie ich einst Walter Ulbricht als Spindoctor diente.
Immer wieder gibt es Situationen, da ist es für einen, der keinen Alkohol trinkt, besonders hart: Wenn man sich mit Aussagen von Sitznachbarn, die schon das eine oder andere Glas hochprozentiges getankt haben, auseinandersetzen muss. So passierte es mir kürzlich bei einer Geburtstagsfeier. Die Gäste wurden bunt gemischt an Tischen mit jeweils acht Personen platziert, ein bisschen wie Lotto. Sechs richtige mit Zusatzzahl waren extrem unwahrscheinlich. So war es auch, eine Niete war dabei.
 
Nach dem üblichen Geplänkel ging es langsam los, als man sich gegenseitig grob erzählte, was man denn im beruflichen Leben macht. Ein praktischer Arzt, ein Anwalt, ein Speditionsunternehmer, eine Schulleiterin, eine HR-Managerin, eine Zahnärztin und besagter Freund der Schnäpschen bildeten mit mir die Runde. „Einen Kleinen hätte ich gerne noch“, gab der Herr neben mir der Servierkraft in regelmäßigen Abständen seine Anweisungen für Digestif-Nachschub.
 
Ich weiß nicht mehr, nach welchem „Kleinen“ der Angriff kam, aber er kam trocken und direkt: „Du bist also ein Berufsmanipulator“, kam es von rechts. Ich versuchte höflich, die Rolle unserer Zunft anders darzustellen: Als „Brückenbauer“, „Vermittler“. Weit kam ich nicht: „Ach hör doch auf“, winkte der Herr ab, der sich inzwischen seines Sakkos entledigt und die Ärmel angriffslustig hochgekrempelt hatte. „Ihr seid doch die Verkäufer der Unwahrheiten.“ Wieder versuchte ich zu deeskalieren, aber die Kurzen hatten ihre Wirkung nicht verfehlt, die Empfangsfunktionen meines Gesprächspartners waren inzwischen sehr eingeschränkt.
 
„Ich sag dir mal was“, setzte er an und begann mit erhobenem Zeigefinger zu dozieren: „Damals, 1961, war das doch genauso - oder was war das mit Walter Ulbricht?“ Mir schwante, was jetzt kommen musste - und der Satz kam: „Niemand beabsichtigt eine Mauer zu errichten.“ Mir war zwar neu, dass dieser Satz von einer PR-Agentur erdacht wurde, aber meinem Sitznachbarn war das egal. „Ihr erzählt doch alle immer das, was nicht stimmt - die Mauer wurde ja auch gebaut. Punkt.“
 
Beim Punkt war ich bei ihm: Denn es war jetzt der Punkt, an dem man besser aufsteht und geht. Ich gab vor, eine sanitäre Anlage aufsuchen zu müssen und verschwand. Aus guten Gründen kehrte ich nicht wieder an den Tisch zurück. Eine Woche später traf ich die Gattin des Herrn, der mich mit dem Nicht-Mauerbau-Zitatgeber in einen Topf warf. Es war ihr sichtlich unangenehm und sie entschuldigte sich für ihren Mann. Er hätte es aktuell nicht leicht im Job, erklärte sie mir.
 
Ich hatte seine Sprüche bereits von der Festplatte meiner Erinnerungen gelöscht, wie alles, was ich in die Kategorie „völlig belanglos“ einstufe. Ihr war es aber wichtig, also hörte ich ihr noch eine Weile lang zu. Es stellte sich heraus, dass ihr Göttergatte früher selbst einmal in einer PR-Agentur tätig war, allerdings während der Probezeit gehen musste. „Es hat nicht so gepasst zwischen ihm und den Kunden“, sagte sie. Ich konnte mein Grinsen nur schwer unterdrücken. „Seitdem hat er eine Aversion gegen Kommunikationsberater“, bekam ich zu hören. Es wäre nichts gegen mich persönlich, fügte sie noch an.
 
Schon klar, schließlich hatte ich ihren Mann zuvor noch nie gesehen, lediglich sie hatte ich ab und zu auf der Hunderunde getroffen. Ich verabschiedete mich und versicherte ihr, dass ich weder in meiner Berufsehre gekränkt wäre, noch schlaflose Nächte hätte. Das Einzige was ich mir vorgenommen habe: Dass ich beim nächsten Mal früher den Tisch verlasse, wenn wieder einer mit der „Berufsmanipulator“ Nummer um die Ecke kommt. Prost!
 
Kontakt zum Autor: frankzdeluxe@gmail.com
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