Eins noch...
Kennt ihr das Gefühl, wenn ihr von eurer alten Schule eine Nachricht bekommt? Ihr habt auf einmal hundert Bilder im Kopf: eure coolen Banknachbarn, eure besten Freunde, den Oberstreber, die Klassenpetze, den Pausenclown, den Albtraum-Lehrer, eure Lieblingsfächer oder das Mathe-Abitur (das mich bis heute in den Schlaf verfolgt).
Neulich zeigte mir Outlook eine Mail an, die bei mir einen Flashback auslöste. Absender: ein junger Lehrer aus meinem alten Gymnasium, dem Tiroler Paulinum. Acht Jahre (von 10 bis 18) war ich in dem katholischen Knabenseminar (wie es damals hieß) Internatsschüler gewesen – eine harte Zeit mit 28-Betten-Schlafsälen. Der Lehrer, der an meinem Martyrium schuldlos ist (er wurde zwölf Jahre nach mir geboren), schrieb äußerst nett: „Vor 37 Jahren haben Sie die Schülerzeitung ,etcetera‘ gegründet. Die kommende ,etcetera‘ wird eine kleine Jubiläumsausgabe (80. Ausgabe) sein. Die jetzigen Redakteurinnen und Redakteure würden sich freuen, wenn Sie uns Einblicke in die Anfänge von ,etcetera‘ geben könnten.“
Ich finde es wunderbar, dass „etcetera“ die am längsten bestehende Schülerzeitung Österreichs ist (so lange hat noch kein Gründungsprojekt von mir überlebt). Und ich schrieb an meine Nachfolgerinnen und Nachfolger folgende nostalgische Zeilen:
Wenn ich an „etcetera“ denke, fällt mir als erstes unser Redaktionsraum im Internat ein. Wir produzierten unsere Schülerzeitung in einer fünf Quadratmeter großen Besenkammer, in der neben einem Staubsauger nur ein kleiner Schreibtisch und drei Stühle Platz fanden.
Damals hatten wir weder Internet noch Computer, also leider auch nicht Google, sondern nur ein paar vergilbte Brockhaus-Bände (denen zahlreiche Seiten fehlten), und statt Handys gab es ein einziges Münztelefon, das sich 300 Kinder teilen mussten. Ihr seht, liebe „etecetera“-Redakteure, wir waren keine „Digital Natives“, sondern „Digital Dinosaurier“.
Unsere Texte mussten wir auf einer uralten Schreibmaschine tippen, und sobald die Zeitung in Druck ging, träumten wir Redakteure (alle Internatskinder) von gutem Essen. Ihr müsst wissen, dass die Internatsküche berühmt-berüchtigt für schlechte Kost war, unter anderem für die härtesten Semmelknödel der Welt, die fast ebenso gut wie Flummis hüpfen konnten. Mit dem Verkaufserlös konnte sich die ausgehungerte Redaktion pro Ausgabe einen Restaurantbesuch leisten, ich bestellte jedes Mal das teuerste Gericht auf der Speisekarte, Chateaubriand (ich liebe Steak bis heute, zum Leidwesen meiner beiden Töchter, die Vegetarierinnen sind).
Den meisten Erziehern und Lehrern war unser kritisches Blatt äußerst suspekt (wegen unserer frechen Berichte verlor der damalige Direktor seine letzten Haare, unser genialer Karikaturist Stefan porträtierte ihn mit einem 15 Zentimeter breiten Mittelscheitel). Die Schulleitung hätte wohl alle „etcetera“-Ausgaben am liebsten eingestampft. Während wir Redakteure vormittags in der Schule waren, spionierte ein Präfekt (so nannten sich die Pädagogen damals) in der Besenkammer nach Textfragmenten und Layout-Skizzen.
So kam es, dass wir meist zwei Ausgaben produzierten: eine mit Jubel-Berichten für den Spitzel (welche nie erschienen) und eine mit bösen und witzigen Geschichten (die gleich nach der Veröffentlichung hitzige Diskussionen im Lehrerzimmer auslösten). Unser Herzenslehrer Willi war immer unsere größte Stütze und hat ausnahmslos jede Story voller Leidenschaft verteidigt.
Ich persönlich habe durch „etcetera“ unendlich viel gelernt. Während meiner journalistischen Laufbahn versuchten wichtige Mächtige oder mächtig Wichtige, mich einzuschüchtern. Das Paulinum war die beste Schule, in solchen Situationen cool zu bleiben.
Liebes „etcetera“-Team, ich gratuliere euch von Herzen zur 80. Ausgabe. Vielleicht schmeißt ja der Direktor eine coole Party für euch (mit Chateaubriand und Veggie-Steaks) – verdient hättet ihr es euch auf jeden Fall.
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wolfgang@ainetter.com