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News / Demokratie und Kommunikation: Wir sind Teil des Systems
©Tobias Wölki
23.05.2024   Kommentar
Demokratie und Kommunikation: Wir sind Teil des Systems
Der Deutsche PR-Tag stand im Zeichen des Beitrags professioneller Kommunikation zur Demokratie. Ein Fazit: Standards einzufordern angesichts von manipulativen Nachrichten und Hatespeech ist ein Gebot der Stunde. Übrigens auch bei uns selbst. Von Andreas Möller
„Die deutschen Kommunikationsverbände DPRG, BdKom und GPRA starten eine Initiative ‚Kommunikation stärkt Demokratie‘“, heißt es in der gemeinsamen Pressemitteilung, die im Vorfeld des Deutschen PR-Tags versendet wurde. Man könnte sie hier wörtlich wiedergeben. Denn alle wesentlichen Themen von Desinformation, Hetze und Meinungsbildung finden sich darin wieder. Gut so.
 
Entsprechend einhellig war auch das Plädoyer von Nils Haupt (DPRG), Alexandra Groß (GPRA) sowie der BdKom-Präsidentin Regine Kreitz während des Panels am Freitag, das klug gelegt war hinter den Vortrag des Tübinger Medienwissenschaftlers Bernhard Pörksen: Es beginnt mit der Sprache und dem Verständnis von Prozessen. Insofern kommt auch den Berufsverbänden derzeit ein gewichtiges Wort zu, auf die Einhaltung von Standards in einer aufgeheizten Debattenkultur zu pochen.
 
„Tik Tok in der Gastronomie“
 
Doch was bedeutet „Kommunikation stärkt Demokratie“ in einer Realität, in der nicht nur Gewerkschaften heute für sich in Anspruch nehmen, Branchen zu vertreten, obwohl der Organisationsgrad in den Betrieben von Jahr zu Jahr sinkt, sondern auch Kommunikationsverbände nicht die Hoheit über das haben, was gesprochen und geschrieben wird?
 
Zunächst finde ich es ein starkes Signal, den 75. Geburtstag des Grundgesetzes am 23. Mai 2024 zum Anlass zu nehmen, auch den PR-Tag demonstrativ ins Zeichen der Demokratie zu stellen. Das Gespräch von Nils Haupt mit BILD-Vize Paul Ronzheimer unter anderem zur Nachrichten- und Bilderflut des Ukraine-Kriegs setzte hier gleich zu Beginn den Ton.
 
Denn der Eindruck, den Robert Habeck mit seiner Rede beim OMR eine Woche zuvor machte, hatte wohl auch damit zu tun, dass er überhaupt politisch wurde, während in Hamburg ansonsten über „Less Social Media“ oder „Tik Tok“ in der Gastronomie“ gesprochen wurde. Wohlgemerkt: Während das Plakatkleben in Deutschland zu einer Gefahr für Leib und Leben geworden ist – und die israelische Musikerin Eden Golan in Malmö erfahren musste, zu welchen Exzessen die liberale westliche Gesellschaft fähig ist, indem sie andere, die sie abschaffen wollen, gewähren lässt.
 
Mehr tun als Fingerzeigen
 
Es reicht darum nicht aus, auf Kommunikation als Grundpfeiler der Demokratie zu weisen, wie sie insbesondere in Artikel 1 und 5 des Grundgesetzes festgeschrieben ist, sondern braucht einen permanenten Abgleich, was konkret daraus folgen soll.
 
Die freiheitliche Gesellschaft, lautet das mittlerweile 50 Jahre alte Diktum des Staatsrechtlers Ernst-Wolfgang Bockenförde, lebt von Voraussetzungen, die sie selbst nicht garantieren kann. Im Klartext: Troll-Fabriken den Kampf anzusagen ist das eine. Genauso wichtig ist es jedoch, sich selbst in die Rechnung einzubeziehen, wie mediale Wirklichkeit tagtäglich entsteht.
 
Dazu gehört beispielsweise, die Sorgen all jener ernst zu nehmen, die sich in den politischen Äußerungen und im medialen Diskurs nicht mehr wiederfinden – oder zumindest eine ungleiche Verteilung der öffentlichen Aufmerksamkeit für jene Themenfelder beklagen, die den Menschen in der „Dorfkneipe“ wirklich unter den Nägeln zu brennen, wie der WAZ-Journalist Oliver Hollenstein am Donnerstag betonte.
 
Falschnachrichten keinen Raum zu geben und das Rad der Polarisierung weiterzudrehen, anstatt die berühmte Nacht über einer Meldung zu schlafen, ist deshalb ein Auftrag – auch an die klassischen Medien und ihre Rezipienten, die oft selbstbewusst zwischen sich und den Nutzern alternativer Medien eine Linie ziehen. Dass selbst Branchengrößen wie die New York Times die Nachricht über die Explosion am Al Ahli Hospital in Gaza am 17. Oktober 2023 übernahmen, gehört in diesen Komplex. Nicht Israel bombardierte das Krankenhaus, wie sich später zeigte, sondern eine fehlgezündete Rakete war die Ursache.
 
Selbst Boulevardmedien dürften darum nicht in einen endlosen Wettlauf um Geschwindigkeit und Radikalisierung der Headlines eintreten, sagte Paul Ronzheimer. Soll heißen: Journalisten und Kommunikatoren sind immer auch Teil des Systems, das sie zu Recht kritisieren.
 
Ein Auftrag an die professionelle Kommunikation
 
Es liegt auf der Hand: Algorithmen, Clickbaiting, Echokammern werden Kommunikation allen Aufrufen zur Beachtung guter Standards in immer stärkerem Maße prägen. Die Zeit eines „kanonischen“ und gemächlichen Medienkonsums mit der lokalen Tageszeitung am Morgen und der „Tagesschau“ am Abend sind passé.
 
Aber ich habe die (vielleicht unbegründete) Hoffnung, dass in dem Augenblick, in dem alltagsnäher über Themen wie Zuwanderung, Arbeitsplatzangst, Energiepreise und anderes gesprochen wird, das die Meinungsforschungsinstitute derzeit klar als Kernthemen ausmachen, zumindest bei manchem die Neigung sinken kann, sich Telegramkanälen als Hauptinformationsquellen zuzuwenden.
 
Wenn – zurück zum Duo Ronzheimer und Haupt – das erste Opfer des Krieges die Wahrheit ist, dann gilt dies nicht minder für die Demokratie. Sie ist vielleicht nicht grundsätzlich in Gefahr, hat aber Probleme der Selbstlegitimation. Oder um es mit Altbundespräsident Joachim Gauck zu sagen, auf den Cornelius Winter in seiner Moderation einging: Wir sollten genauer unterscheiden zwischen denen, die derzeit mit der Demokratie fremdeln, und denen, die sie aktiv bekämpfen und abschaffen wollen.
 
In dieser Differenzierung liegt ein konkreter Auftrag. Auch an Kommunikatorinnen und Kommunikatoren.
 
Foto: Alexandra Groß (GPRA), Nils Haupt (DPRG), Regine Kreitz (BdKom) und Moderator Andreas Möller beim PR-Tag (v.l.n.r.)


Über den Autor

Dr. Andreas Möller ist seit 2015 Leiter des Zentralbereichs Unternehmenskommunikation, Politik, Marke bei TRUMPF
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