Politische Debatte und ein offener Meinungsaustausch sind aktuell wichtiger denn je. Oder? Allzu oft wird die Rechnung am Ende ohne den Algorithmus gemacht.
Es ist menschlich, aufeinander einzugehen, sich aussprechen zu lassen. Es ist richtig, sich Ängsten und Sorgen anzunehmen. Die Politik steht in der Verantwortung, auf die Bedürfnisse der Bürger*innen einzugehen. Dabei müssen Medien den Politiker+innen wiederum genau auf die Finger schauen.
Gerade im Wahlkampf stellen sich Spitzenpolitiker*innen und die, die es werden wollen, den Fragen auf Marktplätzen und in konfrontativen Talkshows. Meinungen werden ausgetauscht, Statements bekräftigt, Wähler*innen gewonnen oder verloren. Und das ist in den Grenzen des demokratischen Diskurses genau richtig. Ob zu diesen Sendungen auch Kandidat*innen eingeladen werden, die mit ihrer Politik offenbar auf ein Ende der Demokratie abzielen, ist die freie Entscheidung jeder Redaktion.
Viele Talkshows und Zeitschriften verfolgten zuletzt die Strategie, auch das Personal einer vom Verfassungsschutz in Teilen als gesichert rechtsextrem eingestuften Partei einzuladen, um sie „inhaltlich zu stellen“ oder „den Populismus zu entlarven“. Seit der Gründung vor über 11 Jahren konnten sich die Parteispitzen dort positionieren und ihre zunehmend populistischen und rechtsextremen Aussagen neben den Statements demokratischer Parteien platzieren.
Oft bekräftigen Showhosts, dass sie gerade dann kritisch nachbohren und Parolen widersprechen wollen. Wo die Partei nun in Umfragen steht, nach 11 Jahren kritisch nachbohrenden Talkshows, ist in diesem Jahr allen bekannt.
Doch gerade in Online-Formaten haben Auftritte jener Politiker*innen weitere Konsequenzen. Nachdem ich durch das bemerkenswert ausführliche, sechseinhalbstündige YouTube-Interview von Tilo Jung mit Maximilian Krah geskippt habe, wanderte mein Blick in die Kommentarspalte. Dort wird Krah augenscheinlich mehrheitlich für seine „starke Performance“ gelobt.
Noch mehr als diese Mehrheitsmeinung unter dem Video des Creators mit eigentlich sehr progressiver Zuschauerschaft wunderte mich allerdings meine YouTube-Startseite, als ich wieder zurück klickte. Vier Videos sprangen mir ins Auge, die mir mein gut trainierter Algorithmus ganz neu anzeigte: Videos mit klaren AfD-Inhalten, Clickbait und Populismus in Reinform. Und das nicht in kritischen Talkshows, sondern unwidersprochen und unmissverständlich produziert. Solche Videos wären mir ohne das Krah-Interview wohl nicht angezeigt worden. Für den YouTube-Algorithmus zählt vor allem, dass ich weiterschaue. Es zählen die Klicks.
Mit der Entscheidung, AfD-Politiker*innen in Videos und Artikeln eine Bühne zu geben, gelangen also nicht nur dort ihre Botschaften in den gesellschaftlichen Diskurs. Als Konsequenz pusht der Algorithmus auch weitere Inhalte von rechten Influencer*innen und Trollen auf meine Startseite.
Diese Fake-News-Inhalte sollen den Diskurs stören und unsere Gesellschaft zersetzen. Deswegen gilt: Indem wir weder Trollen noch dem Algorithmus Nahrung geben, schützen wir nicht nur die Integrität unserer Debatten, sondern auch die Zukunft der Demokratie.
Autor: Tim Klute ist Junior Associate im Berliner Büro von 365 Sherpas Corporate Affairs & Policy Advice. Vor seinem Einstieg bei 365 Sherpas sammelte er Erfahrungen im Strategiebereich in einer Kommunikationsagentur in Berlin und in der strategischen Kommunikation bei einer Stiftung in Brüssel im Bereich der EU-Klimapolitik.
Wichtiger Hinweis der DPRG: Der „Kommentar der Woche“ ist eine persönliche Meinungsäußerung der Autorinnen und Autoren, und stellt nicht die Meinung der DPRG dar. Bei Fragen, Anregungen und Wünschen zum Kommentar wenden Sie sich bitte direkt an den Autor unter
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