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News / Wir müssen das Opfernarrativ beenden
Nils Haupt
23.04.2024   Kommentar
Wir müssen das Opfernarrativ beenden
Das kontinuierliche Schlechtreden der Situation in Deutschland halte ich für maßlos übertrieben und gefährlich. Schließlich sind diese Kassandrarufe vor allem Wasser auf die Mühlen der Populisten.
Die Lektüre der deutschen Wirtschaftsmedien macht gegenwärtig wenig Freude. Oft gewinnt man den Eindruck, Deutschland sei in einer schier ausweglosen Situation und auf dem Weg in die ökonomische Bedeutungslosigkeit. Die Verelendung der Bevölkerung sei nur noch eine Frage von Jahren. Die Schlagworte reichen von “Alles wird teurer” und “Alles wird schlechter” über “Nichts funktioniert mehr” bis zu “Deutschland macht sich selbst kaputt”.
 
So sehr manche Wirtschaftsindikatoren momentan sich nicht zum Frohlocken eignen, so sehr halte ich das kontinuierliche Schlechtreden der Situation in Deutschland für maßlos übertrieben und gefährlich. Schließlich sind diese Kassandrarufe nämlich insbesondere Wasser auf die Mühlen der Populisten. Deren Rezepte gegen den beschworenen Untergang der Republik sind hingegen alles andere als hilfreich, ob Austritt aus der EU, Wiedereinführung der D-Mark oder Rückabwicklung der Globalisierung durch Priorisierung von Güterproduktion in Deutschland.
 
Ich sehe uns Kommunikatorinnen und Kommunikatoren in dieser Diskussion in einer wichtigen Verantwortung. Bei aller verständlichen und berechtigten Kritik an wirtschaftlichen Fehlentwicklungen brauchen wir positive Narrative, brauchen Aufbruchstimmung statt Jammerkultur, demokratisches Engagement statt Paralyse des Bürgersinns. Wir, die wir Kommunikation als Beruf (und auch als Berufung) gewählt haben, tragen ein erhebliches Maß an Mitverantwortung für das Gelingen eines Aufbruchs, einer demokratischen Diskussions- und Streitkultur, eines echten Dialogs.
 
Es wäre nützlich, wenn wir in unserer professionellen Kommunikation in Unternehmen, Verbänden, Organisationen immer auch das Verbindende, das Erreichte, das Positive betonten. Ja: dieses Land steckt in einer umfassenden und langjährigen Transformation, die unsere Wirtschaft und auch unsere Gesellschaft nachhaltig verändern wird. Aber diese Transformation zu unterstützen, statt sie zu fürchten und zu beklagen, ist aus meiner Sicht der bessere, der klügere und der langfristig hilfreichere Weg.
 
Der Geschichtswissenschaftler Frank Trentmann stellt die Herausforderungen unseres Landes in einen historischen Zusammenhang: “Ein Blick in die Geschichte zeigt, welche großen Herausforderungen die Zivilgesellschaft immer wieder gewillt war, auf sich zu nehmen. Nach 1945 und aufs Neue nach 1990 gab es neben Selbstmitleid immer auch Selbsthilfe und Solidarität. Anders ausgedrückt: Opfer geben und nicht nur Opfer sein.”
 
Das Opfernarrativ zu beenden und statt dessen zum Aufbruch, zum Dialog, zum Mitmachen anzuregen, das sollte in diesen Jahren des Umbruchs eine unserer zentralen Aufgaben und Herausforderungen in der alltäglichen Kommunikationsarbeit sein.
 
Wichtiger Hinweis der DPRG: Der „Kommentar der Woche“ ist eine persönliche Meinungsäußerung der Autorinnen und Autoren und stellt nicht die Meinung der DPRG dar. Bei Fragen, Anregungen und Wünschen zum Kommentar wenden Sie sich bitte direkt an den Autor unter nils.haupt@dprg.de
 
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