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News / „Es bringt nichts, zu verbergen, wer man ist“
Yeliz Kavak-Küstner ©Marco Schilling
02.04.2024   Diversity
„Es bringt nichts, zu verbergen, wer man ist“
Charleen Bermann im Gespräch mit Yeliz Kavak-Küstner, Leiterin Corporate Communications & Marketing und Prokuristin des Supply Chain Dienstleisters pfenning-Gruppe, über Diversität, Offenheit und den Mut, seine persönliche Geschichte zu erzählen.
Magst du dich einmal vorstellen und erzählen, was du beruflich machst?
 
Ich arbeite als Leiterin Corporate Communications & Marketing bei der pfenning-Gruppe – einem Supply Chain Dienstleister mit Sitz in der Metropolregion Rhein-Neckar. Hier bin ich mit meinem Team verantwortlich für die Bereiche Kommunikation, strategisches Marketing, Emplower Branding und Corporate Social Responsibility.
 
Wie kamst du in den Kommunikationsbereich und vor allem in dieses Unternehmen?
 
Ursprünglich bin ich in der Türkei geboren und mit mehreren Muttersprachen aufgewachsen. In Deutschland angekommen habe ich mit Deutsch eine weitere erworben. Aufgrund dieser Multilingualität habe ich mich für ein sprachwissenschaftliches Studium entschieden und mein Diplom als Übersetzerin absolviert. Ein Studium oder das Abitur hatte ich nicht geplant, aber ich hatte keine Wahl und musste mangels Alternativen den zweiten Bildungsweg antreten.
 
Als Teenager fand ich nämlich aufgrund einer Gehbehinderung schlicht keine Lehrstelle, sah mich stattdessen im Bewerbungsprozess vielen sinnlosen Fragen ausgesetzt. Typisch 90er Jahre eben. Ich wurde während meiner Kindheit in der Türkei nicht gegen Kinderlähmung geimpft und bin seither damit aufgewachsen.
 
Nach meinem Studium habe ich relativ schnell gemerkt, dass ich einen extrovertierten Job brauche und so kam ich als Quereinsteigerin ins Marketing eines Energiedienstleisters. Später folgte ich dem Angebot, eine Marketing- und Kommunikationsabteilung für einen französischen Logistikdienstleister in Deutschland aufzubauen. Eine sehr lehrreiche Zeit. In 2012 dann folgte der Wechsel zum Familienunternehmen pfenning, wo ich seither viele faszinierende und wegweisende Projekte umsetzen durfte.
 
Was schätzt du an deinem Arbeitgeber?
 
Mein Arbeitgeber hat mir in einer schweren gesundheitlichen Phase den Rücken freigehalten und hat dafür im Gegenzug sehr viel bekommen. In dieser ganzen Zeit konnte ich mich als Führungskraft persönlich und fachlich stetig weiterentwickeln.
 
Es ist meine persönliche Überzeugung, dass Menschen mit einer Behinderung nicht nur eine tolle Anstellung verdienen, sondern sich zu großartigen Führungskräften entwickeln können, wenn sie ein wertschätzendes Setting vorfinden. Wir müssen ja stets die Extrameile gehen, um das gesteckte Ziel zu erreichen und gleichzeitig den Blick für das Umfeld nicht verlieren. Das schärft nicht nur das eigene Profil, sondern sehr stark auch die emotionale Intelligenz, die im Umgang mit anderen enorm wichtig ist.
 
Wie hat sich deine Arbeitsumgebung durch Covid verändert?
 
Seit einigen Jahren bin ich im Alltag mit zwei Krücken unterwegs und schätze die Möglichkeit, viele Termine – insbesondere bei meiner Teilhabe an bundesweiten Arbeitskreisen und Initiativen - auch remote wahrnehmen zu können. Dafür schätze ich die Arbeit im Büro mit meinen Kolleg*innen, denn hier hat mein Arbeitgeber in puncto Barrierefreiheit wirklich an alles gedacht. Das trifft auf den Rest der Republik aber nicht zu. Wir haben noch viel zu viel Nachholbedarf. Die Pandemie hat die Teilhabe für Menschen mit Einschränkungen, aber auch anderen Personenkreisen, deutlich vergrößert.
 
Was bedeutet Diversität für dich?
 
Letzten Endes sind ja alle Menschen unterschiedlich und jeder auf seine Art divers – bei manchen von uns dann sehr sichtbar aufgrund eines Migrationshintergrundes, der Religion, sexuellen Orientierung oder einer Behinderung. Meine Grundschullehrer wollten mir in den 80ern den Wechsel auf eine Förderschule nahelegen. Der Grund dafür? Meine Gehbehinderung. Das hat nicht funktioniert, weil weder ich noch meine Mutter diesen Schritt als notwendig erachtet haben. Seither hat sich leider nur marginal etwas verändert, denn Berührungsängste sind in unserer Gesellschaft nach wie vor präsent.
 
Der Handlungsbedarf ist enorm hoch und die Unternehmenskommunikation kann und sollte mit gutem Beispiel vorangehen. Denn Menschen mit einer Behinderung finden in der Außenkommunikation so gut wie nicht statt. Wenn ein Diversitätstopic bespielt wird, werden darin oftmals (die immer gleichen) weiblichen Mitarbeiterinnen platziert. Wir schreiben das Jahr 2024 und wenn Frauen, d.h. etwas mehr als die Hälfte der Menschen, als divers gilt, dann machen wir gehörig etwas falsch.
 
Gibt es etwas, worauf du beruflich oder in deinem Team in Bezug auf Diversität achtest?
 
In unserer Social-Media-Kommunikation versuchen wir diese Themen dann einzubauen, wenn es thematisch passt. Mir ist es sehr wichtig, dass wir nicht immer die gleichen Kolleg*innen im Bild platzieren, um damit hinter dem Thema „Diversität“ einen Punkt setzen zu können. Besonders in der Logistikbranche fehlen nach wie vor weibliche Kräfte, und im Jahr 2024 sollten wir uns das auch offen eingestehen bzw. daran arbeiten, diesen Umstand zu ändern.
 
Findest du, dass die DPRG die Themen rund um Diversität sichtbar macht? Oder siehst du da noch Bedarf?
 
Ich denke, dass es ein Themenbereich wäre, den man aktiver in unterschiedlichen Formaten aufnehmen könnte und dem man eine stärkere Stimme geben kann. Sei es in Form von Workshops, Vorträgen oder Interviews. Mittlerweile existiert zwar eine ganz andere Welt, als noch vor 30 Jahren, aber ich habe den Eindruck, dass insbesondere Behinderung immer noch ein Tabuthema ist und zu selten öffentlich diskutiert wird. Manche Betroffene trauen sich teilweise nicht in die Sichtbarkeit, weil sie das Stigma fürchten - besonders als Führungskraft. Wenn aber geeignete Plattformen, wie zum Beispiel die DPRG, das Thema aufgreifen, erhöht das die Sichtbarkeit und kann ein selbstverständlicher Teil des Alltags in der Gesellschaft, aber auch in Unternehmen werden.
 
Hast du Tipps für junge Menschen, Menschen mit einer Behinderung oder irgendeiner „Andersheit“ für den Einstieg in die Branche?
 
Seid mutig und versteckt euch nicht. Geht offen mit eurer Einschränkung oder Vorgeschichte um, denn sie ist Teil eurer Persönlichkeit. Es gibt nach wie vor Unternehmen und Personalabteilungen, die Systeme entwickelt haben, Menschen mit Behinderung nicht einstellen zu müssen. So verhindern sie einer enorm großen Zahl von Fach- und Führungskräften die Teilhabe am ersten Arbeitsmarkt und vergeuden unglaubliches Potential.
 
Die Zahl der Bewerbungen, die ich zu Beginn meiner Karriere schreiben musste, konnte ich irgendwann nicht mehr überblicken. Aber im persönlichen Gespräch hat letztlich immer meine Persönlichkeit überwogen und überzeugt. Keiner meiner Arbeitgeber hat die Entscheidung für mich jemals bereut, ganz im Gegenteil. Die Gesellschaft sollte sich bewusster machen, dass so etwas jeden irgendwann treffen kann, denn das gehört zum Leben dazu.
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