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News / „Das riesengroße Internet ist ein Friedhof“
Dr. Martin Andree
27.02.2024   Review Lunch Talk
„Das riesengroße Internet ist ein Friedhof“
Es war kein allzu optimistisches Bild, das der Digitalexperte und Autor Dr. Martin Andree im DPRG Lunch Talk vom Zustand des Internets und der sozialen Medien zeichnete. Bedrohen sie die freie Meinungsbildung, indem sie immer größere Teile unserer Lebenswelt unter ihre Kontrolle bringen?
Gleich zum Einstieg in den Lunch Talk bekannte sich der Kölner Medienwissenschaftler im Talk mit DPRG-Bundesvorstandsmitglied Patrick Herrmann durchaus als Fan des Internets und sozialer Netzwerke. Allerdings mit einer klaren Einschränkung: „Ich bin eigentlich nur ein Gegner von Monopolen und davon, dass man uns unsere Freiheit nimmt.“
 
Seit mehr als 15 Jahren forscht Dr. Martin Andree, der digitale Medien an der Universität Köln lehrt, zu den Vormachtstellungen von Big Tech. Und die haben, wie die Forschung nachweisen kann, bedrohlich zugenommen. Bedrohlich für Demokratie, Meinungsbildung und Konsum, wie er mit einem einfachen Schaubild zur Verteilung des Traffics im Internet überdeutlich vor Augen führte. Dort, wo das Internet mit großem Abstand die meisten Menschen erreicht, dominiere „Big Tech“, namentlich die großen Internetkonzerne wie Amazon, Youtube, Meta.
 
Erst mit sehr großem Abstand und mit Reichweiten im unteren einstelligen Prozentbereich folgen etwa die deutschen Medienhäuser, E-Commerceanbieter oder Blogger. „Es gibt im Internet ein paar große Monopole und der Rest des Internets ist ein riesengroßer Friedhof, denn es ist total egal, was da an Inhalten liegt. Es gibt dort keinen Traffic, der ist bei den Monopolen,“ so Andree.
 
Was bedeutet dies für die Meinungsbildung durch unabhängige Medien? Zu Beginn der Entwicklung des Internets hätten die analogen Medien einschließlich TV und Print noch 100 Prozent Nutzungsanteil erreicht. Heute sei es nur noch eine Frage der Zeit, bis diese ganz durch digitale Medien ersetzt werden. Das alleine sei nicht das Problem, die Frage, die man sich aktuell stellen solle, so Andree, sei, „seit wann sind die digitalen Medien eigentlich wichtiger geworden als die analogen Medien? Und da spreche einiges dafür, dass wir diesen Zeitpunkt schon 2020 oder 2021 überschritten haben. Die digitalen Medien seien heute die Leitmedien.
 
„Stellen wir uns jetzt vor, wir hätten jetzt gar keine analogen Medien mehr, wir schalten klassisches Fernsehen und Radio ab. Dann haben wir keinen öffentlich-rechtlichen Rundfunk mehr –, nicht weil er nicht mehr gesendet wird, sondern weil er in diesem Reichweiten-Friedhof des Internets gesendet wird.“
 
Big Tech reguliert das Netz und begünstigt zugleich auch Hate Speech, Diskriminierungen und ähnlich negative Erscheinungen. Die große Frage, die sich seit Jahren stelle, sei, warum es in Europa, in den USA, Kanada, Australien niemanden gibt, der hier für Wettbewerb sorgt? Andree: „Besonders interessant ist, dass wir wissenschaftlich genau wissen, wie Big Tech die Vielfalt durch Netzwerkeffekte abgeschafft hat. Durch geschlossene Standards erreichen sie, dass eigentlich niemand mehr aus diesen Silos ausbricht.“
 
De Fakto gehörten so drei Viertel unseres Mediensystems den Big Tech-Unternehmen. „Selbst wenn wir als Gesellschaft jetzt erkennen würden, wir müssen das sofort ändern, - wir könnten es nicht tun, weil wir momentan überhaupt nicht die ausreichende Gesetzgebung haben.“
 
Es sei auch eine Illusion, dass wir in einer monopolisierten Gesellschaft solche Strukturen durch mündige Verbraucherentscheidungen durchbrechen könnten. „Hinzu komme die große und schreckliche Naivität vieler Netzaktivisten, die sagen, wir gehen jetzt weg von X und zu Mastodon. Diese Träume gibt es seit 20 Jahren. Wir wissen, dass von den hundertvierzigtausend Menschen, die in Deutschland letztes Jahr gesagt haben, ich verlasse Twitter nach der Übernahme von Twitter durch Elon Musk, nur rund 1,4 Prozent, wirklich gegangen sind.“
 
Ein tragisches Beispiel sei die Politikerin Saskia Esken. Seit sie Twitter beziehungsweise X boykottiere existiere sie digital faktisch nicht mehr. „Wenn wir etwas verändern wollen, müssen wir den Stier bei den Hörnern packen. Wir brauchen einen Sturm auf die Bastille, denn den Digitalkonzernen gehört das Gleis. Wir müssen als Gesellschaft einen Zugang zu diesen Gleisen finden, weil wir sonst unsere digitale Souveränität verlieren. Und nochmals, es ist nicht eine Frage von 30 oder 40 Jahren, sondern von wenigen Jahren.“ Und er ergänzt weiter „Die Freiheit der Medien ist nicht „discussable“, wir müssen die Demokratie jetzt sichern, wenn wir wollen, dass unsere Kinder auch weiterhin eine Wahlfreiheit haben.“
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