Wer nach dem Ursprung von Spruchweisheiten sucht, macht interessante Entdeckungen – und findet manchmal mehr, das uns verbindet, als uns trennt. Das ist eine gute Nachricht, meint Sascha Stoltenow.
Am Anfang dieses Kommentars stand ein kurzer Moment der Sprachlosigkeit, oder genauer: der Sprachlustlosigkeit. Nicht, dass ich mich darüber gewundert hätte, dass Menschen sich einander über alle möglichen Kanäle ihrer gegenseitigen Abneigung versichern. Daran habe ich mich nicht nur gewöhnt. Ich tue es häufig genug selbst. Doch die in rechtsextremistischen Kreisen öffentlich geäußerten Deportationsfantasien waren wohl der berühmte Funke, der das Fass zum Überlaufen brachte, oder so ähnlich (Sie sehen, die Lust ist schon wieder zurückgekommen). Heute wissen wir, dass ein ähnlicher Funke auch bei anderen übergesprungen ist und Menschen nicht sprachlos sind, sondern zu hunderttausenden auf die Straße gehen, um trotz aller Streitigkeiten für unser demokratisches Gemeinwesen einzutreten.
Mein erster Gedanke nach den unsäglichen, aber leider nicht unsagbaren Äußerungen war: Worte sind Waffen, und es ist Zeit, dass wir verbal abrüsten. Als nächstes kam mir die Spruchweisheit von der Feder in den Sinn, die ja mächtiger als das Schwert sein soll, was auf wunderbare Weise meine ehemalige (Offizier) und aktuelle (Berater) Profession miteinander verbindet, und ich machte mich auf die Suche nach ihrem Ursprung. Wer mag, kann das Dank dieser fantastischen Infrastruktur, die das Internet immer noch ist, gerne auch tun, denn ich will hier nur von einem Fund berichten.
Vermutlich im 7. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung lebte Aḥiqar. Er war – wie passend – Berater des assyrischen Königs Asarhaddon und lebte höchstwahrscheinlich in Ninive und Nimrud, also dort, wo heute der Irak liegt, und sprach Aramäisch. Das alles wissen wir, weil im 5. Jahrhundert vor Christus Menschen seine Geschichte auf Papyrus-Rollen festhielten. Diese wiederum wurden Anfang des 20. Jahrhunderts in Elephantine in der Nähe von Assuan gefunden. Die Blätter befinden sich heute in der Papyrus-Sammlung des Ägyptischen Museums in den Staatlichen Museen zu Berlin sowie im Ägyptischen Museum in Kairo. Noch nicht abschließend geklärt ist übrigens, ob Aḥiqar tatsächlich gelebt hat oder nur als Rollenmodell eines idealen Weisen diente, um Botschaften zu transportieren.
Neben einem Ausschnitt aus seinem Leben enthält der überlieferte Text auch Spruchweisheiten von Aḥiqar. Eine davon lautet: „Sanft ist die Rede eines Königs, schneidender und stärker ist sie als ein zweischneidiges Messer.“ Sie gilt als ein Ursprung der Idee, dass die Feder mächtiger ist als das Schwert. Das alles wissen wir, weil seit dem Fund der Papyrus-Rollen mehrere Generationen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus unterschiedlichen Ländern mit Intellekt und moderner Technik daran gearbeitet haben, die Blätter zu übersetzen, zu datieren und in die richtige Reihenfolge zu bringen. Für mich wird daran deutlich, was wir alles wissen und erreichen können, wenn wir zusammenarbeiten. Die Texte und die Arbeit daran zeigen auch, dass grundlegende Gedanken uns über tausende von Jahren und über Kulturen miteinander verbinden können. Das macht mich zuversichtlich, dass wir auch die Aufgaben, die nun vor uns liegen, gemeinsam lösen. Helfen könnte dabei in Zeiten, in denen Content King ist, vielleicht die Idee, unsere Rede in der Form sanfter und in der Sache verbindlicher zu gestalten.
Sascha Stoltenow ist Partner bei Script Communications in Frankfurt am Main.
Wichtiger Hinweis der DPRG: Der „Kommentar der Woche“ ist eine persönliche Meinungsäußerung der Autorinnen und Autoren, und stellt nicht die Meinung der DPRG dar. Bei Fragen, Anregungen und Wünschen zum Kommentar wenden Sie sich bitte direkt an den Autor unter E-Mail:
s.stoltenow@script-com.de