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News / Wissenschaft und Praxis sprechen oft nicht dieselbe Sprache
14.01.2024   Review Lunch Talk
Wissenschaft und Praxis sprechen oft nicht dieselbe Sprache
Im Lunch-Talk am 11. Januar diskutierte DPRG-Präsident Nils Haupt mit den Kommunikationswissenschaftlern Prof. Dr. Helena Stehle und Prof. Dr. Ansgar Zerfaß über das Thema "Kommunikation in einer digitalen und globalisierten Welt".
Wie finden Kommunikations-Praktiker*innen in Unternehmen oder Agenturen mit Kommunikationswissenschaftler*innen eine Gesprächsebene? Warum kommt es oft zu Verständigungsproblemen?
 
Professor Dr. Helena Stehle, stellvertretende geschäftsführende Direktorin des Instituts für Kommunikationswissenschaft (IfK) der Universität Münster, hat dafür eine Erklärung: Die unterschiedlichen Zielsetzungen und Anreizsysteme von Wissenschaft und Praxis. „Die Wissenschaft ist eher ausgelegt auf Beschreibung, Erklärung und Analyse. Die Praxis ist eher ausgelegt auf Bewertung, Prognose, Handlungsanleitung. Daraus ergeben sich unterschiedliche Herangehensweisen und Zielsetzungen.“ Aber in der Forschung gebe es auch die Grundlagenforschung und die eher praxisorientierte Forschung, die auch Auftragsforschung sein könne.

Wer sich in diesen unterschiedlichen Systemen bewege, müsse die jeweiligen Rahmenbedingungen kennen, so Prof. Dr. Ansgar Zerfaß, Universitätsprofessor am Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft der Universität Leipzig. „Für Forscherinnen und Forscher bedeutet das, dass sie ihre Ergebnisse zum Beispiel in einem englischsprachigen Journal veröffentlichen und von ausländischen Gutachtern bewerten lassen müssen.“
 
Hinzu komme, dass selbst sehr praxisrelevante Forschungsergebnisse auf eine Weise aufbereitet werden, dass sie wissenschaftlich nicht geschulte Rezipienten kaum verstehen könnten. „Als Wissenschaftler muss man so schreiben, damit man überhaupt publiziert wird, damit man einen Job bekommt, damit man vielleicht seinen nächsten Karriereschritt machen kann.“
 
Ein anschauliches Beispiel sei die Krisenkommunikation, so Prof. Dr. Zerfaß. In der Forschung können man eine Krise theoretisch leicht abgrenzen, Simulationen durchführen und Experimente machen, die genau dem entsprächen, was sich nachher in einem 20seitigen Artikel schreiben ließe. Deshalb würden häufig Situationen beschrieben, die in der Realität gar nicht in dieser Form auftreten. Damit könne man in der Praxis nicht viel anfangen. „Ich nehme als Beispiel die Frage, wie jemand auftreten soll, der im Krisenfall vor die Kamera treten muss, um zu den Stakeholdern zu sprechen.“
 
Wissenschaftliche Studien sagten dann, dass etwa in Asien jemand sprechen sollte, der auch einen entsprechenden kulturellen Hintergrund hat. Und der nicht eine junge Frau sein sollte, sondern besser ein älterer Mann. „Jeder weiß aber in der Praxis, dass es einen Krisenkommunikationsplan gibt und die Person, die am Wochenende möglicherweise angerufen wird, nicht einfach Herkunft, Geschlecht und Alter anpassen kann.“
 
Das beherrschende Thema in der Branche im vergangenen Jahr und sicher auch weiterhin sind die Entwicklungen in der Künstlichen Intelligenz (KI), so Nils Haupt. Viele Kommunikator*innen fragten sich, wer auf diesem Gebiet wissenschaftlich kompetent ist und sich mit aktueller Forschung beschäftigt.
 
Zu den Universitätsstandorten mit einem Schwerpunkt in diesem Bereich zähle Münster, so Prof. Dr. Stehle. „Für uns ist das ein sehr wichtiger Forschungsschwerpunkt, der nochmals dadurch bestätigt wurde, dass es jetzt zwei Vollprofessuren gibt. Das heißt, wir haben die Teams deutlich aufgestockt. Und wir stellen in den Gesprächen mit den Kolleginnen und Kollegen fest, dass das Thema an allen möglichen Stellen Beachtung bekommt, weil natürlich auch die Komplexität der Realität da deutlich zunimmt. Also die Bedeutung des Themas wird an vielen Stellen erkannt, sei es Wissenschaftskommunikation, sei es Nachhaltigkeitskommunikation, sei es in Zusammenarbeit mit den Kollegen und Kolleginnen aus der Informatik beispielsweise.“
 
Mit der Fachgruppe PR und Organisationskommunikation in der Deutschen Gesellschaft für Publizistik und Kommunikationswissenschaft gebe es eine nützliche Schnittstelle für den Austausch zwischen Forschung und Praxis, hob Prof. Dr. Stehle hervor. Ganz allgemein gebe es über solche Kontakte hinaus viele positive Erfahrungen in der Zusammenarbeit von Hochschule und Unternehmen. „Insbesondere dann, wenn es einen wirklichen Austausch darüber gibt, was die aktuellen Phänomene und Probleme sind, die die Praxis derzeit beschäftigen,“ so Prof. Dr. Stehle. „Das kann ein wunderbarer Impuls sein für die Forschung. Und ich glaube, es ist wichtig, diese unterschiedlichen Zielsetzungen und Arbeitskriterien im Hinterkopf zu behalten, wenn man sich austauscht.“
 
Wie sehen am Ende für die Studierenden an den Hochschulen in der Kommunikationsforschung die beruflichen Aussichten nach einem erfolgreichen Examen aus? Für die meisten finde sich sehr schnell ein Arbeitsplatz in einem Unternehmen oder einer Agentur, wobei Agenturen immer weniger gefragt seien als Unternehmen, was Arbeitszeiten, Bezahlungen etc. anbelange, so Prof. Dr. Stehle. „Was ich aber zunehmend beobachte und sehr interessant finde, dass sich Absolventinnen und Absolventen schnell selbstständig machen. Manche sogar direkt von Beginn des Studiums an. Das habe ich so noch nicht in dem Maße gesehen. Und, was ich mitbekomme, sind diese Gründungen oft erfolgreich.“
 
Der DPRG Lunch Talk wird präsentiert von PMG – Presse Monitor.
 
Am Donnerstag, 25. Januar 2024 wird der Hamburger Digital-Unternehmer Philipp Westermeyer von 12 Uhr bis 12:45 Uhr Gast im Lunch Talk sein. DPRG-Vize-Präsidentin Clara Piroth spricht mit dem Gründer und Geschäftsführer von OMR, einem Medienunternehmen mit Fokus auf Digital Business, Marketing, Finance und Tech. Thema sind die Veränderungen der Wirtschafts- und Kommunikationswelt durch die Digitalisierung und die aktuellen Pläne von Philipp Westermeyer für sein Unternehmen OMR.
 
Hier geht es zur Anmeldung.
 
Text: Thomas Scharfstädt
Branchenpartner
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