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News / Wie mir Billy Wilder das Leben rettete
Wolfgang Ainetter
14.01.2024   Glosse
Wie mir Billy Wilder das Leben rettete
Neulich kam ich am Berliner Viktoria-Luise-Platz an jenem Haus vorbei, in dem der große Billy Wilder gewohnt hatte. Und ich erinnerte mich an ein Mini-Interview, das ich mit einem der besten Regisseure aller Zeiten geführt hatte.
Es war 1996, ich war Jungredakteur beim Wiener Nachrichtenmagazin „News“ (ehemals Gruner + Jahr) und musste mit einer Kollegin eine 32-Seiten-Beilage zu „1000 Jahre Österreich“ stemmen. Der Chefredakteur wünschte sich eine Umfrage unter (mehr oder weniger) bekannten Ösis: Welche historische Persönlichkeit hat Sie am meisten beeindruckt?
 
Um die an Spannung überschaubare Beilage aufzupeppen, war ich verzweifelt auf der Suche nach einem großen Namen. Ich setzte mir den damals wohl berühmtesten Auslandsösterreicher in den Kopf:
 
Kult-Regisseur Billy Wilder, der als Jude vor den Nazis fliehen musste und in den USA Filmgeschichte schrieb (21 Oscar-Nominierungen, 6 Oscars). Seine Meisterwerke („Manche mögen‘s heiß“, „Sabrina“, „Eins, Zwei, Drei“, „Das Mädchen Irma la Douce“, „Boulevard der Dämmerung“ oder „Zeugin der Anklage“) sind von zeitloser Brillanz.
 
Ich, der Redaktionsneuling, bettelte eine gut vernetzte Show-Redakteurin so lange, bis sie Wilders Festnetznummer in Los Angeles herausrückte. In den folgenden drei Tagen rief ich gut hundertmal an – ohne Erfolg. 
 
Am vierten Tag die Erlösung: Billy Wilder hob ab!
 
Zu meiner Enttäuschung sagte er: „Ich habe gleich einen Termin. Versuchen Sie es am Nachmittag wieder.“
 
Ich wusste: Einen Weltstar wie diesen bekomme ich mit ziemlicher Sicherheit nur einmal ans Telefon. Ich habe eine einzige Chance – und zwar jetzt, in diesem Augenblick.
 
Deshalb versuchte ich mein Glück mit einer Mischung aus Wiener Charme und Wiener Schmäh:
 
„Herr Wilder, Sie waren doch auch einmal junger Zeitungsreporter. Dann wissen Sie sicher noch, was es bedeutet, einen cholerischen Chefredakteur zu haben, der mit Aschenbechern nach erfolglosen Redakteuren wirft und beim geringsten Anlass so laut brüllt, dass ganze Ressorts mit kollektivem Trommelfellriss außer Gefecht gesetzt werden. In einer halben Stunde muss ich in die große Redaktionskonferenz – zu dem gefährlichsten Boss der Mediengeschichte! Wenn Sie mir nur eine Minute schenken, erzähle ich in ganz Wien herum, dass Sie mir das Leben gerettet haben.“
 
Billy Wilder lachte aus ganzem Herzen. Er überlegte eine halbe Minute, bis er mir sein historisches Vorbild nannte (ich glaube, es war Joseph II., der dank seiner mutigen Reformen als „Kaiser des Volkes“ in die Geschichte einging). Dann fragte Billy Wilder noch schnell, ob es politische News in seiner alten Heimat gebe, ehe er sagte: „Jetzt muss ich wirklich los. Aber ich habe mich mit Ihnen gut unterhalten. Rufen Sie doch um 15.30 Uhr Ortszeit nochmals an.“
 
Ich habe Billy Wilder nicht mehr erreichen können. Aber der Chefredakteur war mit dem Ergebnis meines 4-Minuten-und-50-Sekunden-Interviews glücklich und schlug mir auf die Schulter.
 
Ich habe damals folgendes mitgenommen: Lass dich im Job niemals abwimmeln oder vertrösten.
 
Das Motto des 2002 gestorbenen Star-Regisseurs hängt übrigens über meinem Schreibtisch:
 
„Du sollst nicht langweilen!“
 
Jahr für Jahr der beste Vorsatz für alle Kommunikatorinnen und Kommunikatoren.

Autor: Wolfgang Ainetter, E-Mail: wolfgang@ainetter.com
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