Die Proteste der Landwirte, die an diesem Montag ihren Höhepunkt erreichen, sind ebenso wie die Reaktionen darauf auch kommunikativ ein Lehrstück, sagt Andreas Möller. Der Dialog mit einer wichtigen Branche kommt allerdings erst auf Druck zustande – und greift nur einen Teil ihrer Probleme auf.
Seit kurz vor Weihnachten protestieren die deutschen Landwirte. Perfekt organisiert bis in die letzten Winkel der Republik. Mit imposanten Landmaschinen, die geballt wie eine Motorschau und Demonstration der Stärke wirken. Mit viel Unterstützung von Passanten überall im Land, darunter auch Kita-Gruppen und Schulklassen. Aber auch mit dem Unmut genervter Autofahrer.
Der Protest entzündete sich bekanntlich an der im Rahmen der Haushaltsplanung mittlerweile zurückgenommenen KFZ-Steuerbefreiung sowie den Subventionen auf Agrardiesel, die abgeschmolzen werden sollen. Bereits im Vorfeld der Protestwoche ab 8. Januar hatte es deshalb einen Vorfall in Schlüttsiel in Schleswig-Holstein gegeben, bei dem Demonstranten versuchten, den aus dem Urlaub heimkehrenden Bundeswirtschaftsminister am Verlassen einer Fähre zu hindern. Habeck war bis 2018 sechs Jahre lang Landwirtschaftsminister in Schleswig-Holstein.
Reaktionen auf Schlüttsiel
Die politischen Reaktionen auf das Handgemenge vor dem Fähranleger ließen nicht lange auf sich warten, wobei neben dem Tatbestand der Nötigung nicht weniger als die drohende Gefährdung der Demokratie angemahnt wurde. Insbesondere im Hinblick auf die Gefahr einer Unterwanderung der Bauernschaft durch einzelne Gruppierungen.
Robert Habeck selbst tat das, was er in den letzten Monaten schon des Öfteren getan hat – und was eigentlich die Aufgabe des Bundeskanzlers wäre: sich in bewegten Situationen, bei denen die Volksseele zu köcheln beginnt, in einem Videostatement an die Bevölkerung zu wenden. Die Menschen einzuweihen in den eigenen Gedanken, aber ihnen auch das Gefühl zu geben, dass sie mit ihren Emotionen nicht ins Leere laufen. Eine Angriffsfläche zu bieten, ohne die eigene Person zu schonen.
Gemessen an Habecks Video erinnerten die knappen Worte des Bundeskanzlers an die Landwirte, die über Nacht von einer milliardenschweren Streichung überrascht wurden, ein wenig an die „Basta-Kommunikation“ von Gerhard Schröder. Und auch der Bundesfinanzminister äußerte sich erst spät und schmallippig beim Dreikönigstreffen der FDP am 6. Januar in Stuttgart. Also zu einem Zeitpunkt, als die Entscheidung bereits seit drei Wochen in der Welt war.
Auch dies verstärkte das Gefühl, die Bauern seien für die Berliner Politik keine Branche, mit der man ebenso pfleglich umgehen müsse, wie etwa mit der Industrie. Obwohl seit Corona viel von heimischen Lieferketten die Rede ist, die uns unabhängiger machen. Und von Nahrung, die nach Bio-Standards und wie Ökostrom möglichst regional erzeugt werden soll. Also vor der eigenen Haustür. Dort, wo nun Traktoren und Sattelschlepper die Straßen blockieren.
Schnelligkeit und Klarheit
Die prompten Reaktionen auf Schlüttsiel belegen: Schnelligkeit ist möglich, Entschlossenheit auch. Und unabhängig von der Frage, ob Videobotschaften das Regierungshandeln ersetzen können (sie tun es nicht, zumal Habeck der überproportionalen Belastung der Bauern vorher selbst zugestimmt hatte): Der Vizekanzler fand einmal mehr den richtigen Weg, um kommunikativ auf polarisierende Ereignisse zu reagieren. Erinnert sei auch an sein Videostatement zum Antisemitismus nach dem 7. Oktober oder die Gas-Rationierung an dem russischen Angriff auf die Ukraine.
Er füllt damit eine Lücke, die andere aufgemacht haben und offenkundig nicht schließen mögen. Er tut dies mit dem notwendigen Ernst und spricht die Menschen direkt an. Auch wenn er im Falle der Bauernproteste möglicherweise einen falschen Zungenschlag wählte, indem er die fachlich berechtigten Anliegen dadurch delegitimierte, dass er Trittbrettfahrern, von denen sich das Gros der Landwirte selbst distanzierte, auffällig viel Raum gab.
Dass es Strömungen gibt, die mediale Aufmerksamkeit für sich nutzen, ist leider kein neues und auch den Grünen ein durchaus vertrautes Phänomen. Gerade die Geschichte der zum Teil militanten Umweltproteste von Wackersdorf und Gorleben bis Lützerath und dem Dannenröder Forst in unserer Zeit dokumentieren, dass politische Anliegen immer auch von Kräften gekapert werden, für die der Zweck jedes Mittel zu heiligen scheint. Und die mit den Vertretern des Staates, zu denen neben Spitzenpolitikern eben auch Polizeibeamte zählen, nicht zimperlich umgehen.
Kommunikation, die den Bürger ernstnimmt
Unabhängig von der inhaltlichen Beurteilung der Bauernproteste – bei denen es längst nicht nur um den Agrardiesel geht, sondern um eine lange Reihe einschneidender Regelungen vom Pflanzenschutz über die Düngeverordnung bis hin zu Flächenstilllegungen und der Tierwohlkennzeichnung – kommt der Politik in einer zunehmend von Einzelinteressen geprägten Öffentlichkeit die Aufgabe zu, dennoch angemessen zu kommunizieren. Dies ist eine Binse. Umso mehr erstaunte das beharrliche Schweigen von zumindest zwei der drei Ampelspitzen.
Die Erwartung, dass Entscheidungen wie jene zum Agrardiesel widerspruchslos hingenommen werden, gehört spätestens nach den Protesten der Vergangenheit an. In dem Maße, in dem gesellschaftliche Gruppen auf die Straßen gehen, muss sich auch Politik bereits im Vorfeld vermehrt mit deren Anliegen und den Wechselwirkungen der eigenen Entscheidungen befassen, die oft unter Zeitdruck getroffen werden.
Diese Fähigkeit steht synonym für den Zweiklang aus Wahrnehmung und Wertschätzung, der sich als roter Faden durch alle Konflikte zieht. Auch wenn so mancher Protest anders als in früheren Jahrzehnten von Selbstüberschätzung zeugt, ja, der Unfähigkeit, Partikularinteressen in schwierigen Zeiten dem großen Ganzen unterzuordnen. Die von Edo Reents 2016 in der FAZ einmal gestellte Frage, ob es eigentlich noch Leute gäbe, die sich zusammenreißen könnten, legte früh den Finger in die Wunde.
Dennoch: Dass Robert Habeck trotz aller politischen Unterschiede kommunikativ als Ausnahme wahrgenommen wird, zeigt, dass in punkto Dialog etwas im Argen liegt. Und das seit Jahren.
Über den Autor
Dr. Andreas Möller ist seit 2015 Leiter des Zentralbereichs Unternehmenskommunikation, Politik, Marke von TRUMPF. 2018 veröffentlichte er das Buch „Zwischen Bullerbü und Tierfabrik. Warum wir einen anderen Blick auf die Landwirtschaft brauchen“. Der Vorabdruck in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeit wurde 2019 auf der Internationalen Grünen Woche mit dem
Preis der deutschen Agrarpresse prämiert.
Wichtiger Hinweis der DPRG: Der „Kommentar der Woche“ ist eine persönliche Meinungsäußerung der Autorinnen und Autoren, und stellt nicht die Meinung der DPRG dar. Bei Fragen, Anregungen und Wünschen zum Kommentar wenden Sie sich bitte direkt an den Autor unter E-Mail:
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