Immer wieder trete ich als Referent bei Firmenveranstaltungen auf. Als Pünktlichkeitsfanatiker bin ich stets zu früh dran, also lausche ich brav dem Programm bis zu meinem Gig. Letzte Woche war da jemand on Stage, der zum Thema „Audio-Storytelling“ dozierte. „DAS ist jetzt der neue Trend, auch in Podcasts“, erklärte er. Ich horchte auf, gespannt, was denn nun kommen würde.
„Geschichten sollte man erzählen aus dem Unternehmen, das würde die Leute mehr emotional involvieren.“ Aha. Ich verkniff mir das laute Auflachen über diese bahnbrechende neue Erkenntnis. Aber er machte schmerzfrei weiter. „Inzwischen werden auch in Musiksongs immer mehr Geschichten erzählt“ wußte er in dramatischem Tonfall zu berichten. Ich blickte verstohlen nach rechts und links: Tatsächlich schrieben einige im Auditorium mit, was der Meister von sich gab.
Ich beamte ich mich gedanklich zurück, erstellte im Kopf eine Playlist mit lauter alten Songs, in denen Künstlerinnen und Künstler schon vor Jahrzehnten den angeblich neuen „Hot Shit“ des Audio-Storytellings hervorragend zelebrierten. Zum Beispiel Heinz-Rudolf Kunze, ein begnadeter Musiker und Texter. Vor 37 Jahren machte er genau das, was der Referent hier als des Kaisers neue Kleider verkaufte: Er erzählte in „Finden Sie Mabel“ eine großartige Love-Story. Allein durch die Song-Zeilen wurde ein Kopfkino-Musikvideo produziert. Man sieht den legendären Privatdetektiv Philipp Marlowe vor sich.
Die schöne Mabel, die zuletzt als Zimmermädchen auf Hawaii ohne Papiere und Geld für den Rückflug gesichtet wurde. Der Mann, der sie suchen lässt, ist unsterblich in diese göttliche Frau verliebt. Er will sie wiederfinden, koste es, was es wolle. Lyrics von Kunze zum Niederknien: Etwa diese Passage hier: „Sie hat mein Leben zerstört, doch ich hab' endlich gemerkt, ich bin weich. Sie hat mein Herz durchgebracht, doch jeder Scheck, den sie nimmt, macht mich reich.“ Ich schreckte hoch, der junge Freund mit dem Zopf kam zum Ende. „Sprechen Sie mich gerne gleich hier an, mein Team und ich beraten Sie fundiert, wie Sie die neue Form des Audio-Storytellings auch in der Praxis umsetzen können.“
Fast hätte ich der Audience zugerufen: “Zahlen Sie dem Märchenonkel nichts, finden Sie lieber Mabel“, aber ich habe dann doch lieber schmunzelnd ein paar Weihnachtskekse geknuspert, bevor ich selbst dran war. Hört in diesen Tagen mal wieder das gute alte „Driving Home vor Christmas“, auch bestes Audio-Storytelling, bei dem der Film direkt im Kopf abläuft. Hätte ich als Referent bei einem Auftritt in der Adventswoche ja mal gebracht. Aber der Song von Chris Rea erschien bereits 1986, da war der junge Audio-Erleuchter-Referent noch gar nicht auf der Welt. Happy Christmas für Euch alle!
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