Kommunikatoren sind Interessenvertreter. Sie sollten deshalb Gralshüter einer lebendigen, glaubwürdigen Sprache sein, anstatt Trendworte zu reproduzieren, sagt Andreas Möller. Auch als Beitrag zur Demokratie.
Unser Glaube an andere verrate, formulierte Friedrich Nietzsche einmal, woran wir in uns selbst gerne glauben würden. Er machte dabei den Zusatz, dass unsere Sehnsucht nach Freundschaft so unweigerlich zu unserem Verräter werde.
Mit der Sprache verhält es sich ähnlich. Die Zunahme von technisch anmutenden Schlagworten wie „Transformation“, „Wende“, „Wandel“, „klimaneutral“, „Krise“, „Narrativ“, aber auch „Haltung“ liest sich oft eher wie eine Zugehörigkeitsformel – und weniger als Diskussionsangebot an andere, warum das Bestehende im Einzelfall überkommen sei oder wie es konkret geändert werden könne.
Mehr noch: Die auffällige Häufung entsprechender Begriffe in Industrie, Landwirtschaft, Verkehr, Gebäudesektor usw. könnte sogar auf ein im Stillen empfundenes Befremden hindeuten angesichts der Geschwindigkeit, mit der Veränderungen derzeit vonstattengehen, und dabei viele Menschen ratlos zurücklassen. Das Gebäudeenergiegesetz der Bundesregierung bietet sich dafür als Paradebeispiel an, wie politische Dauerrhetorik und Gefühl der Menschen auseinanderklaffen können.
Schlagworte ersetzen den Diskurs
Nachweisbar ist insgesamt eine Reduzierung unseres Wortschatzes, wenn es um die Zukunftserzählungen von Ministerien, Unternehmen, öffentlichen Einrichtungen, Universitäten geht (eine stichwortartige Suche unter anderem in den letzten Koalitionsverträgen sei hier unbedingt empfohlen). Vieles eignet sich als Blaupause.
Von hier aus ist es nur ein kleiner Schritt zur Frage, ob wir wirklich an Vielfalt oder eher an Stromlinienförmigkeit gewinnen, wenn alle auf Basis einer Handvoll von Begriffen kommunizieren.
Keine Frage: Eingeführte Begriffe bieten den Vorteil, schnell Verständigung zu schaffen. Aber sie schütten Widersprüche auch zu oder lassen sie gar nicht erst aufkommen.
Dabei drängt sich der Verdacht auf, dass wir auch die Grenzen der Toleranz zunehmend weniger herausfordern. Eine Toleranz, die darin besteht, sich in andere hineinzuversetzen und die Bereitschaft mitzubringen, eine abweichende Meinung stehenzulassen und zu respektieren, anstatt sie öffentlich auszugrenzen.
So betrachtet ist ein Kreisen um Schlagworte nicht nur Ausdruck eines effizienten Einsatzes der Sprache: Der Wunsch, die „richtigen Worte“ zu verwenden, könnte auch Gradmesser der gegenwärtigen Diskussions- und Toleranzbereitschaft sein.
Kommunikation, die Vielfalt abbildet
Umso wertvoller empfinde ich Kommunikation immer dann, wenn sie nicht so klingt, als stehe das Ergebnis schon fest. Wenn sie Ungewissheiten zulässt und trotz aller PR-Verpflichtungen dadurch einen feinen Humor und eine Haltung offenbart, dass sie „Haltung“ vermeidet.
Vielleicht springt dieser Schluss zu weit. Aber ein Teil dessen, was die Gesellschaft derzeit polarisiert, hat auch mit der Dauerpräsenz bestimmter Begriffe zu tun, die der Soziologe Steffen Mau jüngst in seinem Buch „Triggerpunkte“ untersucht hat.
Es lohnt sich deshalb, über den Wert einer offenen, präzisen Sprache im Hinblick auf die Zustimmung zur Demokratie und das Misstrauen gegenüber Medien, Wirtschaft, pauschal „den Eliten“ nachzudenken, wie man es breit im US-Präsidentschaftswahlkampf des Jahres 2017 debattierte.
Nicht zuletzt die Reaktionen auf den Krieg in der Ukraine oder den Terroranschlag der Hamas in Israel dokumentieren, wie stark öffentliche Mobilisierung und Hass auf Basis von instrumentalisierten Schlagworten möglich sind. Greta Thunbergs dumpfe Parole „No climate justice on occupied land" am vergangenen Wochenende wird hierfür leider nicht das letzte Beispiel gewesen sein.
Die DPRG wird 2024 aus diesem Grund einen Demokratie-Schwerpunkt setzen, der die Verabschiedung des Grundgesetzes vor 75 Jahren zum Anlass hat – und ins Jahr der Europa-Wahlen und nächsten US-Präsidentschaftswahlen fällt.
Ich halte dieses Thema – das der Glaubwürdigkeit von Sprache – auch mit Blick auf den Beitrag der Kommunikation zu einer freiheitlichen Gesellschaft für eines der zukunftsweisenden unserer Branche. Nicht minder wichtig als die derzeit vieldiskutierte Frage der Autorschaft von Wort und Bild in Anbetracht der Künstlichen Intelligenz.
Wichtiger Hinweis der DPRG: Der „Kommentar der Woche“ ist eine persönliche Meinungsäußerung der Autorinnen und Autoren, und stellt nicht die Meinung der DPRG dar. Bei Fragen, Anregungen und Wünschen zum Kommentar wenden Sie sich bitte direkt an den Autor unter E-Mail:
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