Die Wahlkampfarena entpuppt sich als „politisches Kuschel-Sofa“: Vier hochrangige PR-Experten/innen sezierten 19 Tage vor der Bundestagswahl den PR-Showdown der Parteien und der drei Kanzler-Kandidat/innen.
Die erhellenden Statements und Prognosen für den Wahlausgang verfolgten am 7. September rund 60 Teilnehmer. Die Gäste der spannenden und teilweise recht launig geführten DPRG Nord-Session waren:
- Michael Behrent, Gründer und Inhaber der PR Agenturen Ahrens & Behrent (heute A+B One) und SCRIPT
- Alexander Güttler, geschäftsführender Gesellschafter und CEO der komm:passion Gruppe
- Klaus Kocks, ehemaliger Vorstand Kommunikation der Volkswagen AG, geschäftsführender Gesellschafter von CATO Sozietät für Kommunikationsberatung
- Susanne Marell, CEO Hill+Knowlton Strategies Deutschland
Erst die Mutti, dann der Vati – der neue Markenkern
Moderator Nils Haupt, Mitglied im Vorstand der DPRG Landesgruppe Nord, hatte mit den vier Diskutant/innen 120 Jahre PR-Erfahrung auf dem virtuellen DPRG-Podium versammelt - und wenigstens auf dieser Bühne wurde konstruktiv gestritten. Auf Haupts Einstiegfrage, warum der Wahlkampf so langweilig daher laufe, konterte Klaus Kocks sofort. Es sei nicht erforderlich, den Wähler zu begeistern. Stattdessen brauche es Macht. Eine Macht, die Ruhe und Geschlossenheit garantiert und dafür sorgt, dass die Partei hinter dem Kandidaten stehe. Dass SPD-Mann Olaf Scholz keine Varianz zeige, sondern maximal reduziert auftrete und jede Polarisierung vermeide, mache deutlich, dass am Ende Charakter und Verlässlichkeit ausreichten. „Auf Mutti folge Vati“, sagte Kocks. Die Reduzierung und Standardisierung festige schließlich den Markenkern, für den Bundestagswahlkampf sei das genial.
Wenig Appetit auf fade Wahlkampfkonzepte
Michael Behrendt attestierte der SPD ein ausreichendes Kader-Gen, um bis zum Wahltag einen Rest an Leidensfähigkeit und Durchhaltevermögen zu mobilisieren. So wirke Scholz immer fitter, je länger der Wahlkampf dauere. Er scheine jeden Morgen begeistert und hochmotiviert aufzuspringen nach dem Motto „bähm, heute sage ich wieder nichts“, und das sorge für souveräne Verlässlichkeit. CDU-Kandidat Armin Laschet sei eher einem Luftsack der Marke „Fatboy“ ähnlich, der nur deshalb auf ein Grinsen reduziert werden könne, weil es sonst nichts Inhaltliches gäbe. Grünen-Frontfrau Annalena Baerbock schlüpfe hingegen in eine besondere Rolle. Sie übernehme die Lasten der Jungen und lasse sich beschimpfen, während Vati am Tisch das Zepter schwinge.
Alexander Güttler entzauberte Armin Laschet als Kandidaten der Gremienpolitik, den weder seine Partei noch das Volk gewollt hätten. Annalena Baerbock zeige dagegen die Portion Extra-Biss. Susanne Marell sah die Grünen-Politikerin stellvertretend für die junge Generation und überraschend stark in sozialen Themen. Allerdings, so Marell kritisch, seien alle dargebotenen PR-Wahlkampfkonzepte wie schlechte Gastronomie: Auf der Karte stünden vier Gerichte und auf keines habe man richtig Appetit. Wer dann doch ein Essen bestelle, bekäme es am Ende mit diversen Beilagen serviert, die er gar nicht gewünscht habe. Mit Blick auf die PR-Strategien sei klar, dass sich alle Kandidat/innen bisher schwergetan hätten. Doch warum ist das so?
Ein Querschnitt der Analysen
- Mutti regiert und keiner der Bewerber kommt sympathisch, charismatisch oder führungsstark daher. Scholz hat einfach nur die Reihen hinter sich, da muss man in Sachen PR nicht kreativ sein, es muss halt nur funktionieren.
- Es fehlt an Profilen. Dafür gibt es unkontrollierte Vielfalt und maximale Risikominimierung. Insgesamt gibt es viel zu wenig inhaltlichen Diskurs.
- Angesichts des Klimawandels lebt der Bundestagswahlkampf mit der riesigen und durchschaubaren Lüge, dass niemand künftig ein Opfer bringen muss.
Doch was könnte ein Endspurt in Sachen PR-Strategien jetzt noch bringen? Wohl nicht mehr viel, so die Einschätzung der vier PR-Experten/innen. Alle Kanzler-Kandidat/innen seien „zu brav“ positioniert. Der Bundestagswahlkampf sei aber ein gutes Lehrbeispiel, was Markenkommunikation können müsse, was erfolgreiche Marken beherrschen und erfolglose Marken vermissen lassen. Der Mut zur Reduktion werde den Sieger ins Ziel tragen.
Antiquiert auf ganzer Linie
Was den Diskutant/innen beim „old fashioned“-Wahlkampf sonst noch fehlt, das sind die personalisierten Botschaften. Alexander Güttler monierte die fehlenden Strategien für die digitalen Medien und im Direktmarketing – das sei ein Armutszeugnis. Bemerkenswert befanden die PR-Expert/innen den antiquierten Wahlkampf allein schon deshalb, weil es keine klassischen Massenmedien mehr gebe und somit viele konkurrierende Möglichkeiten bestünden, sich aus politischen Nischen reichweitenstark und unausgewogen zu Wort zu melden.
Und wer wird Deutschland künftig regieren?
Die vier PR-Profis hielten unisono eine Ampel-Koalition für wahrscheinlich mit Olaf Scholz als Kanzler. Die Grünen würden mit Annalena Baerbock und Robert Habeck die Führungspositionen im Finanz- und Außenministerium übernehmen. Aber auch Christian Lindner sei als Außenminister denkbar. Ebenfalls im Bereich des Möglichen: Annalena Baerbock wird die nächste Bundespräsidentin. Am Ende, so das Schlusswort, werden wie immer alle recht behalten.
Hinweis: Einen Mitschnitt der Veranstaltung finden Mitglieder in der Mediathek der App DPRG.mobil im Bereich „Service“.
Elke Hildebrandt, Mitglied im Vorstand DPRG Landesgruppe Nord