Lustvoll ins neblige Neuland
Was ist, wenn Führungskräfte zu Zuhörenden werden? Was bedeutet das für die Unternehmenskommunikation? Hier kommen Antworten.
Bei seinem letzten Treffen vor der Sommerpause hat sich der DPRG Arbeitskreis Interne Kommunikation, Change & New Work mit Veränderungen in Unternehmen beschäftigt. Rund 70 Teilnehmende stellten sich am 22. Juni die Frage: Was ist, wenn Führungskräfte zu Zuhörenden werden, wenn also die alten Top-Down-Mechanismen nicht mehr funktionieren … Und was bedeutet das für die Unternehmenskommunikation?
Einen beherzten Sprung ins Neuland wagen
Thomas Voigt, Vice President Corporate Communications der Otto Group, plädierte in seinem Impulsvortrag für einen „lustvollen Kontrollverlust“. Man habe ja die Wahl, ob man die unvermeidbaren Veränderungen erleiden oder sie lustvoll gestalten wolle. Dass alte, über Jahrzehnte lieb gewonnene Regeln nicht mehr gelten, dass beispielsweise Führungskräfte völlig neue Aufgaben auch in Sachen Kommunikation bekommen, sei natürlich eine Herausforderung. Um sie zu meistern, müsse man Neuland betreten, noch dazu ein Neuland im Nebel mit eingeschränkter Sicht und unklarem Ausgang. Dennoch warb Voigt für einen beherzten Sprung in dieses Neuland, das er als spannend und chancenreich beschrieb.
Für Kommunikatoren hält dieses Neuland ebenfalls neue und spannende Aufgaben bereit. Von klassischen Content-Machern hätten sie sich zumindest bei Otto gewandelt zu Community-Managern, zu Menschen, die in Kommunikationsfragen schulen, beraten und befähigen, wenngleich natürlich manche Kernaufgaben erhalten bleiben.
Herausforderung: „Beachtliche Kommunikation“ schaffen
Bottom up statt top down – so entstehen bei Otto auch neue Formate. Interne Social Tools wie Yammer schaffen dafür die nötige Grundlage, damit sich jedermann einbringen kann. Eine Herausforderung bei einer derart steigenden Menge an Formaten, Informations- und Austauschmöglichkeiten bleibt es, „beachtliche Kommunikation“ zu schaffen, letztlich also die zunehmend fragmentierte Aufmerksamkeit auf Themen und Botschaften zu lenken. Auf die steigende Vielfalt könne man dabei, so Voigt mit einem Augenzwinkern, evangelisch oder katholisch reagieren: mit dem Versuch zu reduzieren und zu steuern oder mit Freude an barocker Vielfalt.
Viele kleine Sprünge zulassen
Anschließend schilderte Christian Kaiser, Leiter Diversity & Transformation bei DATEV, welche Schritte und Sprünge ins neblige Neuland der Nürnberger IT-Dienstleister unternommen hat. Er plädierte dafür, um im Bild zu bleiben, viele kleine Sprünge auszuprobieren und zuzulassen, also in einer Art Schleife immer wieder Veränderungs-Interventionen auszulösen und einen „minimum viable change“ auszulösen, zu sehen wie die Organisation darauf reagiert, die Wirkung zu reflektieren, um wieder mit der nächsten Intervention weiterzumachen.
Bei DATEV sind so teils graswurzelartig, teils mit Rückendeckung durchs Top-Management zahlreiche neue Formate entstanden, etwa ein mehrmals jährlich stattfindendes „Digicamp“, das ähnlich wie ein Barcamp funktioniert, bei dem die Sessions aber vorab angemeldet und kuratiert werden. Ganz anders als in früheren Top-Down-geprägten Veranstaltungen können hier alle Mitarbeitenden, vom Azubi bis zur C-Level-Ebene, als Sessiongeber fungieren und auf Augenhöhe mitdiskutieren – in offenen, hierarchiefreien Dialogräumen.
Dabei werden durchaus dicke Bretter gebohrt, wenn etwa die Unternehmensstrategie als Schwerpunktthema behandelt wird. Und, ebenfalls Neuland: Obwohl ein internes Format, sind externe Teilnehmer wie Partner und Kunden nicht nur geduldet, sondern erwünscht, um die unterschiedlichen Sichten aufs Thema noch vielfältiger zu machen.
Als Tipps für die Teilnehmenden am Arbeitskreis, wie sie am besten erste konkrete Schritte ins Neuland gehen können, gab Kaiser ihnen zweierlei mit: Sucht euch Menschen, die bereits Veränderungs-Erfahrung gesammelt haben, die auch solche Formate kennen, weil sie zum Beispiel schon an Barcamps teilgenommen haben. Und versucht nicht, das Rad neu zu erfinden – für DATEV selbst hat man sich daher eng an agilen Prinzipen orientiert, von denen man weiß, dass sie weltweit funktionieren und einen guten Rahmen auch für den Change im Unternehmen bieten.
Autor: Christian Buggisch, Erlangen