Systemrelevant – Verlage und Medienpolitik nach (und während) Corona
Wie können Verlage gegenüber den großen Plattformen punkten? Brauchen wir klassische Medien überhaupt noch? Antworten gab Sebastian Doedens auf einer Veranstaltung der DPRG Bayern.
In Zusammenarbeit mit dem Verband der Zeitschriftenverleger in Bayern (VZB) hat die DPRG Landesgruppe Bayern am 20. Mai zu einer spannenden Diskussion zum Thema Systemrelevanz der Medien eingeladen. Die lebhafte Diskussion an diesem Abend zeigte, wie groß das Interesse an diesem Thema ist. Den Impulsvortrag hielt Sebastian Doedens, Leiter Politik und Verbände beim Burda-Verlag und stellvertretender Vorsitzender des VDZ.
Verlage agieren in völlig neuen Realitäten
Seine These: Verlage sind die Heimat des Journalismus und deswegen systemrelevant – das hat nicht zuletzt die Corona-Pandemie verdeutlicht. Gleichzeitig agieren Verlage in völlig neuen Realitäten, sowohl ökonomisch als auch politisch.
Was zeichnet den Zeitschriftenmarkt aus, welche Trends und Entwicklungen gibt es? Zwei Drittel aller Journalisten sind bei Verlagen angestellt, die Verlage stellen die meisten Arbeitsplätze in diesem Bereich. Aber die Verlage müssen sich - im Gegensatz zu den Öffentlich-Rechtlichen Angeboten - selbst finanzieren.
Google, Facebook und Amazon dominieren den Werbemarkt
Und während noch vor einigen Jahrzehnten die Verlage in Deutschland den Werbemarkt dominierten, so sind jetzt Google, Facebook und Amazon die Mächtigsten im Werbemarkt. Bei den Digitalen Angeboten ist die Dominanz von Google & Co noch stärker.
Und gerade im Zeitschriftenbereich hat sich auch das Einkaufsverhalten der Kunden verändert: So gibt es beispielsweise immer weniger, aber dafür größere Supermärkte mit immer mehr Kassen, und die Kunden machen seltener, aber dann größere Einkäufe. Und wer dann in einer Schlange steht, an der kein Zeitschriftenregal ist, kauft seltener eine Zeitschrift. Corona hat diese Tendenzen lediglich verstärkt: Die Kaufmöglichkeiten an Bahnhöfen und Flughäfen entfallen vielfach.
Politik unternimmt zu wenig, um die Vielfalt der Presse zu erhalten
Ein großes Problem für die Verlage liegt darin, dass Konzerne wie Google und Facebook praktisch nicht reguliert sind, die Verlage in Deutschland hingegen schon. Von Seiten der Politik wird viel zu wenig getan, um die freie Presse mit ihrer großen Vielfalt zu erhalten. Für die Medien gelten strenge Regeln. Die großen Internetkonzerne dagegen setzen mit ihrer riesigen Marktmacht selbst ihre Regeln.
Brauchen wir Journalisten und klassische Medien überhaupt noch?
Es stellt sich allerdings auch immer wieder die Frage, ob man Journalisten und klassische Medien überhaupt braucht – angesichts der Informationen aus den Sozialen Netzwerken und vielen anderen digitalen Quellen, angesichts der Möglichkeit, dass heute jeder selbst auf diesen Plattformen schreiben und veröffentlichen kann. Ja, sagt Sebastian Doedens, denn eine Studie des Massachusetts Institute of Technology (MIT) belegt: Ein Drittel aller News auf Twitter sind Fake News, und diese verbreiten sich wesentlich schneller als wahre News. Auch Empfehlungen auf Youtube verstärken radikale und extreme Einstellungen. Aktuelle Studien der EU zeigen: 40 Prozent derjenigen, die sich vor allem auf Sozialen Medien informieren, wollen sich nicht gegen Corona impfen lassen; bei Lesern der traditionellen Medien sind dies lediglich 15 Prozent.
In der praktischen Konsequenz, so Doedens, bedeutet dies: Professioneller Journalismus und die Verlage sind ein Bollwerk gegen Fake News und ihre Verbreitung.
Wie können Verlage gegenüber den Plattformen punkten?
Aber wie können Verlage punkten gegenüber den großen Plattformen oder den digitalen Angeboten wie Readly oder Blendle? Klassische Medien haben einen Vorteil: Sie sind Marken. Sie stehen für ein Konzept, eine Haltung, ein Weltbild. Und ein ganzes Medium wirkt ganz anders auf die Leser als ein einzelner Artikel. Die Leser erkennen das auch: Insgesamt, so Doedens, ist der Zeitschriftenverkauf relativ stabil (Abos und Direktverkauf).
Die riesige Pressevielfalt macht den Journalismus und damit die Verlage systemrelevant. Deshalb brauchen alle Verlage in ihrer Gesamtheit Rahmenbedingungen, in denen sie wirtschaftlich leben und überleben können um die Vielfalt der freien Presse zu sichern. Dabei geht es nicht um Subventionen oder Almosen. Das widerspräche sogar dem Konzept der freien Presse, die ja ausdrücklich nicht abhängig sein soll von Geldgebern, die sie beeinflussen.
Verlage nutzen Chancen der Digitalisierung
Viele Verlage weltweit haben inzwischen auch sehr gute und vielfältige digitale Angebote, die von den Lesern akzeptiert werden und auch Geld einbringen. Ein oft zitiertes Beispiel ist die New York Times. Großer Wettbewerbsvorteil ist die Sprache: Englisch ist Weltsprache.
Wichtig ist, dass Verlage alle Chancen der Digitalisierung nutzen und ihren Kunden entsprechende Angebote machen – über die Zeitschriften und Zeitungen hinaus, zum Beispiel mit E-Commerce-Plattformen oder Vergleichsportalen, mit Kooperationen und Beteiligungen. Und die Politik sollte erkennen, wie wichtig unsere freie Presse und die Medienvielfalt in Deutschland ist und die Rahmenbedingungen für ein Gleichgewicht zwischen Öffentlich-Rechtlichen und privaten Verlagen sichern.
Zur Person:
Sebastian Doedens ist Leiter Politik und Verbände beim BurdaVerlag. Zuvor war der promovierte Kommunikations- und Wirtschaftswissenschaftler bei Burda als Head of Public Affairs sowie als Strategiedirektor des „Focus“ tätig. 2015 wurde er in den Vorstand des Verbandes der Zeitschriftenverleger in Bayern (VZB) gewählt, seit 2016 ist er dessen stellvertretender Vorsitzender.
Autorin: Dr. Annegret Haffa