Learnings aus einem Jahr Corona-Kommunikation
Wie coacht und moderiert lokale Krisenkommunikation unter Extrembedingungen wie Corona? Diskret und differenziert diskutierte Krisenberater Hartwin Möhrle beim 2. DPRG-Krisencocktail seine Learnings, unter anderem am Beispiel einer Großstadt wie Frankfurt und anderer Körperschaften.
Was tun, wenn auf allen Ebenen Verunsicherung herrscht, die Menschen zwischen Hoffnung und Entäuschungen hin- und herschwanken und die Medienberichterstattung zwischen „Constructive Journalism“ und der schieren Lust am Untergang oszilliert?
„Maximale Anforderungslage“ nannte der Krisenspezialist Hartwin Möhrle der Agentur A&B One, was er derzeit in Mandaten, unter anderem bei der Beratung des Stabs Öffentlichkeitsarbeit und Kommunikation der Stadt Frankfurt zur Corona Impfkampagne erlebt. 60 Teilnehmende hatten sich zum zweiten DPRG-Krisencocktail am 25. Februar zugeschaltet. Mit ihnen teilte und diskutierte er die ersten Learnings aus dem Navigieren durch permanent unübersichtliche Situationen. Wie bestimmt man den Kurs, wenn die Basics der Krisenkommunikation erodieren? Wenn es wenig gesicherte und noch dazu widersprüchliche Erkenntnisse gibt, Verunsicherung auf allen Ebenen erkennbar ist und die öffentliche Stimmung durch das tägliche Wechselbad der Gefühle so langsam ins Negative tendiert – trotz beginnender Impfungen.
Anhand von Beispielen vermittelte er einen Eindruck, wieviel Sensibilität es verlangt, als Krisenkommunikator zwischen den Akteuren zu moderieren und Teams im permanenten Ausnahmezustand zu coachen. Einen zentralen Punkt seiner Analyse bildete der Umgang mit der Wahrheit. Problematisch, aber im politischen Umfeld kaum vermeidbar sei die Tendenz, mehr zu versprechen, als letztlich gehalten werden kann. Als eines von mehreren Beispielen zeigte Möhrle die Kampagne der Bundesregierung für die Corona-Schutzimpfung: „Deutschland krempelt die #Ärmelhoch“, eine attraktiv gemachte Kampagne mit einem entscheidenden Manko: Mobilisieren für etwas, was es noch nicht gibt, ist ein problematisches Unterfangen. Die Enttäuschung in der Bevölkerung über den mehr als schleppenden Beginn der Impfungen wurde in der ersten Kommunikationsphase damit eher noch verstärkt.
Das Erreichen der regionalen Zielgruppen, etwa in Frankfurt, bildete ein weiteres Kapitel. Beim Appell Maske zu tragen wirkten in der Mainmetropole unterschiedliche Multiplikatoren mit – vom Rapper bis zur Marktfrau. Auch die übliche Informationssprache von Ämtern und Verwaltung verlangte nach einer neuen Balance. Die medizinisch-fachliche Darstellung wurde um Alltagsfragen und praktische Verhaltenstipps ergänzt. Portraits von Frankfurtern mit ihren persönlichen Corona-Erfahrungen schafften zusätzliche Nähe und Verständnis.
Am Beispiel der „Impfdrängler“ in einem hessischen Landkreis schilderte Möhrle die fatale Wirkung einer zumindest in Teilen fragwürdig skandalisierenden Medienberichterstattung. Neun Verwaltungsmitarbeiter waren unberechtigterweise geimpft worden. Die Verantwortliche haben sich dafür entschuldigt und Fehleranalyse gelobt. Medial wuchs ihre Zahl auf 77 an, was nachweislich falsch war, vom „Impffiasko“ war plötzlich die Rede. Der Landkreis ging über die eigenen Sozialen Medien in die Offensive und stellte die Debatte vom Kopf auf die Füße: Fehler ja, Impffiasko nein. Allerdings sah er auch positive Trends in der Medienwelt mit mehr Chancen für die „neuen Kommunikationstypen“, wie er die Expertinnen und Experten Christian Drosten, Melanie Brinkmann, Mai Thi Nguyen-Kim und Sandra Ciesek nannte.
Die Fragen aus der Teilnehmerrunde deckte ein breites Spektrum ab: Wer sind die zentralen Stakeholder? Wie gut funktioniert die Zusammenarbeit mit den klassischen lokalen Medien? Werden Influencer aktiv genutzt? Welche Rolle spielen die sozialen Medien im Kommunikationskonzept? Wie gelingt die Vernetzung mit den Kommunikatoren von Land, Bundesbehörden und Ministerien?
Bei seinem vorläufigen Rückblick auf ein Jahr Corona-Kommunikation ließ Hartwin Möhrle immer wieder durchblicken, dass es in einer Lage mit derart hoher Komplexität immer mehr offene Fragen als Antworten gibt. Daher sei es nicht nur für die lokale Kommunikation wichtig, sich schnell zu vernetzten und untereinander abzustimmen. Für das erfolgreiche Miteinander sei die Fehlerkultur einer der entscheidenden Faktoren. Gemeint damit ist, wie schnell Fehlentwicklungen erkannt werden und wie stark sich alle Akteure auf die Lösungen fokussieren. Und sich trauen, den Leuten rechtzeitig die Wahrheit zu sagen.