ZukunftsForum: Regentänzer und Standardsprache
Erreichen wir uns noch, fragte die DPRG auf ihrem Zukunftsforum am 24 und 25. Juni im Hamburg. Gemeint sind die Konfliktlinien innerhalb unserer Gesellschaft, die zunehmend Kommunikation „zu einer Herkulesaufgabe“ machen würden.
Für so manche Teile der Bevölkerung muss die Frage mit „nein“ beantwortet werden. Zu tief sind die Gräben, um noch Empathie für die andere Seite zu empfinden. Vieles gäbe es an der Kommunikation zu verbessern. Mit der Sprache fängt es an. Denn die meisten Menschen verstehen schlichtweg nicht so recht, was Unternehmen und Politiker ihnen mitteilen wollen.
„Hauptsätze, Hauptsätze, Hauptsätze“ forderte der Schriftsteller Kurt Tucholsky in seinen Ratschlägen für einen guten Redner. Das war im Jahr 1930. Seitdem hat sich viel geändert, unsere Sprache wird aber immer noch von den meisten Menschen als viel zu kompliziert empfunden. Auftritt der „Globalskala“, der „Gemeinsame Europäische Referenzrahmen für Sprachen“, bekannt aus Deutschkursen. Die Globalskala gliedert sich in drei Stufen mit je zwei Kompetenzniveaus. Die Details müssen uns nicht interessieren.
Die meisten Menschen verstehen die Behörden, die Politiker, die PR nicht
Fakt ist, dass 60 Prozent der deutschen Bevölkerung Informationen bis zur Sprachstufe B1 versteht. Soll heißen: „Kurze Texte, klare Standardsprache“. Leider bieten Unternehmen und Behörden ihre Informationen in der Sprachstufe C1 („komplexe Sachverhalte“) an, erklärt Klaus Candussi vom Grazer Unternehmen Capito in einer Session.
Diese war erstaunlich dünn besucht, angesichts der Tatsache, dass es hier um Erfolgsfaktoren der Unternehmenskommunikation geht. Man muss auf mehreren Ebenen kommunizieren können, fordert Candussi. Und man solle einfach mal aus der Empfängerbrille schauen. Kommt bekannt vor? Am besten sei es, wenn die Inhalte verständlich seien - und dann zudem auch ein „hübsches Layout“ hätten.
Viele wollen nicht mehr ihre Mitmenschen verstehen
Aus der Empfängerbrille blicken? So weit kommt es noch. Für allzu viele Deutsche ist das ein No-go. Wenn das Gegenüber von Grund auf Böse ist, man selber aber zu den Guten zählt, dann ist doch der Blick aus den Augen der anderen fast schon ein Sakrileg, zumindest aber Zeitverschwendung.
Unsere Gesellschaft befindet sich in einem „hoch eskalierenden Zustand“, meint der Pädagoge und Mediator Gernot Barth, Steinbeis-Hochschule Berlin. Wir Deutschen haben es geschafft, über die Jahre von der sachbezogenen Eskalationsstufe auf die der Beziehungen abzurutschen, wo win-win-Modelle nicht erwünscht sind. Warum sollten diese auch bei einem Kampf Gut gegen Böse eine Rolle spielen? Hier kann es nur einen geben, beide Seiten halten sich für gut, und der Kampf wird mit destruktiven Mitteln ausgefochten, wobei eigene Verluste oder Verletzungen in Kauf genommen werden. Hauptsache, es geht dem anderen noch schlechter.
Empathie – das war einmal, die Kommunikation wertet die Gegenseite ab, Personalisierungen haben Hochkonjunktur (Putin, Erdogan, Orban, Trump etc. sind die Verursacher des Bösen), wir fokussieren uns auf das Bedrohliche. Ohne die Intervention von Dritten würden wir die andere Seite nicht mehr verstehen (wollen), sagt Barth. Was tun?
Zuhören sei wichtig, meint Barth. Aufstehen gegen diejenigen, die Dialoge verbieten wollen. Menschen müssen sich verstanden fühlen. Neu ist das nicht, das gilt aber auch für die Forderung nach einer verständlichen Sprache.
Mit Aktionen vor Ort den Menschen Ängsten nehmen
Die Kommunikation intensivieren sei wichtig, meint Uta-Micaela Dürig, ehemalige Geschäftsführerin der Robert-Bosch-Stiftung. Sie präsentierte die Ergebnisse diverser Studien zum Thema „gesellschaftlicher Zusammenhalt“. Zwar würden 61 Prozent der Deutschen an diesen Zusammenhalt glauben, allerdings halten ihn 38 Prozent für bedroht und 37 Prozent in Teilen bedroht. Ein klarer Konsens über Grundwerte und Grundüberzeugungen sei in Einwanderungsländern üblich. In Deutschland fehle dieser.
Was können die Berufskommunikatoren und die Kommunikationswissenschaft tun, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu fördern? Sie könnten Desinformationskampagnen enttarnen, sie könnten Kampagnen auflegen, mit Politikern, mit lokalen Größen. Konzertierte Aktionen, dieses Stichwort fiel mehrfach. Sie könnten stärker kommunizieren, was die schweigende Mehrheit denkt, ihr eine Stimme geben. Die Präsenz vor Ort sei wichtig, um Ängste zu nehmen.
In der von Dürig präsentierten Liste der internationalen Erkenntnisse stehen noch weitere Punkte, die nicht ganz unwesentlich erscheinen, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu fördern. Ungleichheiten reduzieren beispielsweise. Oder Bildung und Integration fördern, Teilhabe auf möglichst vielen Ebenen initiieren. Diese Aufgabenliste ist bekannt, passieren könnte allemal mehr.
Regentänzer und sonstige Rituale in Unternehmen
Wie Kommunikation auf jeden Fall nicht funktionieren kann, das zeigte Oliver Nissen, Vice President Social Media & Services bei der Deutschen Telekom. Den oft skurrilen und tendenziell frustrierenden Konzernalltag scheint er mit einer guten Portion Humor zu meistern. In seinem Vortrag über „Digitalisierung und Führung“ schilderte er, wie Bestandswahrung, Trägheit und Glaubenssätze schnell und sicher Veränderungen ausbremsen können. Rituale spielen eine Rolle. Der Regentanz beispielsweise. Dies ist das Vertrauen auf die Aussagekraft von Kennzahlen aus der Vergangenheit für Gegenwart und Zukunft. Oder die „Magie der Befragung“: Der Glaube, dass es den Mitarbeitern besser geht, wenn man sie zweimal jährlich im Job befragt.
Fazit:
Der erste Tag des Zukunftsforums begann vielversprechend und wurde dem Leitthema gerecht. Das Wetter spielte auch bei der 5. Auflage der Veranstaltung mit, fast etwas zu großzügig. Die rund 200 Besucher kamen gehörig ins Schwitzen, was der Kommunikation keinen Abbruch tat. Am zweiten Tag geht es weiter mit dem Blick auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt & die Kommunikation. Die Keynotes halten Martin Brüning, Rewe Group, und Kai Unzicker, Bertelsmann Stiftung.
Autor: Helge Weinberg