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08.08.2016   Bayern
Journalismus und PR: Das Monster ist zurück.

Der Journalismus wird seit Jahren totgesagt. Bill Gates hat das Ende von Zeitungen und Zeitschriften bereits für 2000 vorausgesagt. Einer der favorisierten Sargnägel war bisher die PR-Branche. Jetzt gesellt sich das Content Marketing dazu – so eine Studie der Otto-Brenner-Stiftung. Für manche ist das auch PR. Für andere geht die Debatte am Kern des Problems vorbei.

Die Studie von Lutz Frühbrodt, Professor für Fachjournalismus und Unternehmenskommunikation an der Hochschule Würzburg-Schweinfurt, untersuchte die Content-Marketing-Aktivitäten der DAX-30-Unternehmen und diskutierte mögliche Folgen des Content Marketing für Journalismus und Gesellschaft.

Die zentrale Aussage der Studie lautet: Content Marketing instrumentalisiert journalistische Praktiken und Mechanismen für das Marketing. Die Absender seien häufig nur schwer zu identifizieren. Und weil das Content Marketing häufig unter einer „Tarnkappe“ agiere, würde die Öffentlichkeit getäuscht und manipuliert. Am Ende werde der Journalismus gefährdet. Neu an dieser Argumentation ist eigentlich nur, dass nicht mehr die PR-Leute den Untergang des Journalismus verantworten, sondern die Journalisten selbst.

Ursache und Wirkung verwechselt

Frühbrodt sorgt sich zu Recht um den klassischen Journalismus. Aber wenn er das Content Marketing als „Sargnagel“ bezeichnet, verwechselt er Ursache und Wirkung. Content Marketing ist die Antwort der Unternehmen auf den Medienwandel und den Akzeptanzverlust der klassischen Werbung. Sie nutzen nicht die „neue Unübersichtlichkeit“, sondern sie befürchten, ihr Publikum nicht mehr zu erreichen.

Viele Werbe-, PR- und Digitalagenturen gehen davon aus, im Content Marketing eine Kompensation für verloren gegangene Geschäftsmodelle gefunden zu haben. Entsprechend hart kämpfen sie derzeit um die Luft- und Budgethoheit.

Fehlende Absendertransparenz trifft die OBS-Studie selbst

Treffend ist die Kritik an der fehlenden Absendertransparenz. Sie ist aber längst eine zentrale Position der deutschen, europäischen und internationalen Kommunikations- und Marketingkodizes. Angesprochenen Öffentlichkeiten solle es möglich sein, „Informationen einzuordnen und abzuwägen“ (Deutscher Kommunikationskodex).

Auch im Marketing-Kodex der Internationalen Handelskammer (ICC) heißt es, Marketingkommunikation dürfe „beispielsweise nicht als Marktforschung, Verbraucherbefragung, nutzergenerierter Inhalt, privater Blog oder unabhängige Bewertung präsentiert werden, wenn es um den Verkauf eines Produktes geht.“ Die Identität des Werbetreibenden solle erkennbar sein.

Der Vorwurf der fehlenden Absendertransparenz fällt auch auf die Studie zurück: Dass die Otto-Brenner-Stiftung eine Einrichtung der IG Metall ist, lässt sich lediglich einem Hinweis auf der vorletzten Seite der über 100 Seiten starken Broschüre entnehmen. In ihrem Leitbild macht die Stiftung auch kein Geheimnis daraus, dass sie die öffentliche Meinung beeinflussen will und Forschung für sie kein Selbstzweck ist.

Beeinflussung der öffentlichen Meinung bleibt unbelegt

Dass die Studie Meinungen prägt, zeigt das mediale Echo. So haben zum Beispiel die „Süddeutsche Zeitung“ und „Die Zeit“ den kritischen Tenor der Studie übernommen. Auch auf Twitter hagelte es zunächst ausschließlich kritische Stimmen – meist Retweets mit minimalen Änderungen am Wortlaut. Ausgerechnet ein Tweet des Deutschen Journalisten-Verbandes leitete am 10. Juni die Wende im Meinungstenor ein.

Die Studie selbst bleibt empirische Belege für den Einfluss auf die öffentliche Meinung schuldig. Sie basiert auf einem standardisierten Fragebogen mit 14 Fragen. Aufgrund der geringen Teilnahmequote (5 Antwortbögen) wurden drei (!) Tiefeninterviews geführt.

Es wurde weder eine Inhaltsanalyse, noch eine damit verbundene Zielgruppen-Befragung durchgeführt, geschweige denn eine Untersuchung zu mehreren Messzeitpunkten. Das wäre jedoch nötig gewesen, um die postulierten Wirkungsnachweise zu erbringen. „Interpretationen des Autors“ (O-Ton Frühbrodt) sind für eine Studie mit wissenschaftlichem Anspruch zu wenig.

Schwachpunkte der Studie: Big Data und Marketing-Automation

Was die Studie der Otto-Brenner-Stiftung kaum berücksichtigt, sind die Themen Marketing-Automation und Datennutzung. Beide sind integrale Elemente von Content Marketing, wenn es mehr sein will als alter Wein in neuen Schläuchen. So zeigt die Diskussion um KPIs und Metriken im Content Marketing, wie sehr der Ansatz auf der Basis von Daten agiert. Ethische Standards für das Sammeln, Speichern und Nutzen von Daten aber fehlen.

Auch der Einsatz von automatisierten Kommunikationsprozessen und Textrobotern nimmt zu – für Mediennutzer oft nicht erkennbar. Eine medien- und kommunikationsethische Diskussion hat hier noch nicht einmal begonnen.

Die Kodizes sind noch zu sehr der Welt von Pressearbeit und Anzeigenwerbung verpflichtet. Kommunikation in Internet und Social Media findet aber tatsächlich im mediengestützten, direkten Kontakt zwischen Unternehmen und ihren Zielgruppen statt. Das erfordert auf beiden Seiten erhebliche „Professionalisierung“. Mediennutzer benötigen ein hohes Maß an Medienkompetenz und -souveränität, um die Gatekeeper-Funktion der Journalisten zu übernehmen. Davon sind wir weit entfernt. Die Aufgabe dürfte allerdings eher bei Bildungseinrichtungen liegen als bei Unternehmen.

Content Marketing 4.0: Co-Creation statt Push-Marketing

Das eigentliche Potenzial des Content Marketing liegt ganz woanders: In der Beteiligung der Ziel- und Anspruchsgruppen an der Weiterentwicklung von Geschäftsmodellen – von Co-Creation bis zu Open Innovation. Das hieße, das Content Marketing von seiner Reduktion auf Kommunikation zu befreien und an die Wertschöpfungsprozesse anzuschließen.

Im Marketing-Mix hätte dies weitreichende Folgen für Produktentwicklung, Vertriebspolitik und After Sales Service. Das Marketing würde damit auch seine Funktion wiedererlangen: als Ausrichtung von Unternehmen an den Märkten – ganz im Sinne des klassischen Marketingverständnisses.

Bei gesellschaftlich wichtigen Themen dürfte – anders als Frühbrodt orakelt – auch künftig kaum jemand die PR- oder Marketing-Abteilungen der Konzerne anrufen. Nach einer Umfrage der GfK Marktforschung sind die klassischen Medien für die Bürger immer noch die mit Abstand wichtigste Informations- und Wissensquelle über Unternehmen und Organisationen – auch bei Social Media-Nutzern (“Com-X“-Studie, 2015/16).

Der Autor: Michael Bürker (Foto) ist Gründer und Geschäftsführender Gesellschafter der ComMenDo Agentur für UnternehmensKommunikation in München und stellvertretender Vorsitzender der DPRG-Landesgruppe Bayern. Er wurde 2016 zum Professor für Marketing, Kommunikation und Marktforschung an der HAW Landshut berufen. Seit 2008 war er Professor für PR und Kommunikationsmanagement an der Hochschule Macromedia in München.

Anmerkung: Dieser Beitrag war erstmalig in einer gekürzten Fassung in der Print-Beilage des DPRG Journals zum PR REPORT 04/2016 erschienen. Hier lesen Sie die ungekürzte Fassung.

 

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