Anzeigenblätter sind so etwas wie der lokale Dorfbrunnen
Zwischen Digitalisierung und Print - die heimliche Karriere der Anzeigenblätter. Zwei Drittel der Bevölkerung lesen sie regelmäßig.
Ihre wöchentliche Auflage liegt bei rund 84 Millionen Exemplaren, führte Sebastian Schaeffer, stellvertretender Geschäftsführer und Leiter Markt- und Mediaservice, vom Bundesverband Deutscher Anzeigenblätter aus. Und zwei Drittel der Leser würden bei deren Einstellung ihr Anzeigenblatt vermissen. Erstaunlich, haben sich diese zu einem relevanten Informationsmedium gewandelt?
Ein gutes Dutzend Mitglieder des DPRG Landesverbandes Berlin/Brandenburg fand sich zu der Veranstaltung „Zwischen Digitalisierung und Print - die heimliche Karriere der Anzeigenblätter“ am 13. Februar in den Räumlichkeiten der Berliner Woche ein. Helmut Herold Chefredakteur, und Hendrik Stein, stellvertretender Chefredakteur, begrüßten die Gäste, Sebastian Schaeffer führte in die Welt der Anzeigenblätter ein.
Arbeitsteilung durch Zeitungskrise
Während sich die Auflagen der Tageszeitungen seit vielen Jahren im permanenten Sinkflug befinden, sie Leser und Anzeigenkunden verlieren, sieht die Lage der Anzeigenblätter anders aus. Sie erreichten im Jahr 2012 ihre höchste Gesamtauflage und konnten im Jahr 2017 ihre bis dahin höchsten Einnahmen mit den Prospektbeilagen erzielen. Die Werbekunden scheinen an dieses Medium und dessen Werbeformate zu glauben. Woran kann das liegen?
Der redaktionelle Anteil bei Anzeigenblätter beträgt im Schnitt 30 bis 40 Prozent. Dieser ist wie die Werbung stark lokal ausgerichtet. Die Leser schätzen den Fokus auf den Nahbereich, die Funktion als Einkaufsratgeber und bauen über viele Jahre Vertrauen zu diesem Medium auf. Dies kommt der Werbung zugute. Mehr als drei Viertel von ihnen der fühlen sich zuverlässig über Ereignisse vor Ort informiert und halten die Berichterstattung laut diverser Umfragen für glaubwürdig, so Schaeffer. Die Anzeigenblätter füllen die Lücke im lokalen Bereich, die durch den Rückzug der Tageszeitungen in Folge der Zeitungskrise entstanden ist. Gleichzeitig ist die Konkurrenz durch digitale Vertriebs- und Informationskanäle viel geringer als bei Tageszeitungen, da der Vertriebskanal der Briefkasten ist, in dem das Anzeigenblatt kostenlos liegt.
Gekaufter Journalismus?
Für die Besucher war das Kostenlose genau der Knackpunkt. Schließlich müssen sich die Blätter ja über Werbung finanzieren und wer könne da unabhängige Berichterstattung wie bei einer Tageszeitung erwarten? Wenn der Kunde es wünscht, werde dann doch sicher auch mal Werbung und redaktioneller Inhalt vermischt? Hendrik Stein von der Berliner Woche bestätigte, dass es vor 15 bis 20 Jahren durchaus einen laxeren Umgang damit in der Anzeigenblätterszene gegeben habe. Mittlerweile sei ein Bewusstsein für eine klare Trennung entstanden.
Chefredakteur Helmut Herold betonte dabei, dass bei der Berliner Woche die Redaktion, PR- und die Anzeigenabteilung auch räumlich voneinander getrennt seien und die lokalen Reporter in den Stadtteilen selber entscheiden, welche Themen relevant sind.
Lokale Gemeinschaften
Die Berliner Woche hat heute zusammen mit dem Spandauer Abendblatt dreißig lokale Ausgaben, in denen wöchentlich rund 250 Artikel erscheinen. Sie erreichen fast alle Haushalte und haben dadurch eine große Lesernähe. Anzeigenblätter sind so etwas wie der lokale Dorfbrunnen geworden, meinte Herold, die Leute erfahren, was in ihrem Nahbereich geschähe. Die Berliner Woche beteiligt sich auch an übergeordneten Themenkampagnen wie beispielsweise. „Schulen ohne Rassismus“. Um es auf das lokale Format herunterzubrechen, sucht man für jede Lokalausgabe eine Schule, die vor Ort dazu aktiv ist.
Und auch etwas Digitalisierung
Seit 2010 ist die Digitalisierung auch für die Berliner Woche ein Thema, 2013 gingen die ersten Leserinnen und Leser als Lokalreporter an den Start, ergänzt Stein. Die berliner-woche.de versteht sich dabei als eine offene Bürgerplattform, die vom gegenseitigen Austausch lebt. Jeder kann Beiträge zu Ereignissen sowie Neuigkeiten aus dem lokalen Umfeld schreiben und veröffentlichen. Im Gegensatz zu den Tageszeitungen, die durch den digitalen Wandel in großem Zugzwang sind, erfolgreiche digitale Geschäftsmodelle für ihre Inhalte zu entwickeln, besteht der Druck für die Berliner Woche so nicht. Anzeigenblätter produzieren kürzere, nicht investigative Artikel, die günstiger in der Produktion sind. Redaktionell besteht somit ein deutlicher Unterschied zu Tageszeitungen. Aber Formate entwickeln sich weiter.
So wurde abschliessend auch darüber diskutiert, inwieweit Elemente des Storytellings im Anzeigenblattformat aufgegriffen werden können und welche Unternehmensnachrichten für Anzeigenblätter sinnvoll seien. Bisher scheinen die Anzeigenblätter durch ihren besonderen Vertriebsweg und die lokale Ausrichtung gut gegen den rasanten Wandel der Medienlandschaft gewappnet zu sein. Wohin allerdings ihre Reise gehen wird, konnte niemand in der Runde beantworten.
Autor: Dr. Carsten Kolbe-Weber, Mitglied des Vorstands der DPRG Landesgruppe Berlin Brandenburg